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Schnitt ist nicht Schnitt.

Foto: APA/Daniel Karmann

Wer im Spätsommer oder gar im Herbst eine fette Ernte einfahren will, muss spätestens jetzt zum Schneiden beginnen. Denn der Schnitt, so erfährt man es von allen Seiten, der Schnitt ist entscheidend. So finde ich mich seit Jahren mit klammen Fingern, offenen Blasen und kälteroten Ohren im Weingarten wieder, um den alten Stöcken eine Tonsur zu verpassen. Für einen guten Schnitt braucht es jahrzehntelange Erfahrung, meinte der Verpächter einst. Wir Frauen schneiden anders, meinte seine Frau. Schau gut zu, rieten beide.

Guten Schnitt kann man lernen, sagte der Universitätsprofessor. Rauf auf die Boku, rein in den Hörsaal - Weinbau eins, und der Herr Professor werden mir schon zeigen, was ein Auge ist. Nach faden Stunden der Ampelografie und witzigen Anekdoten aus des Professors Leben durften wir endlich in den transdanubischen Versuchsgarten, um den richtigen Schnitt zu lernen. Mit neuen Scheren und guten Mutes lauschten wir den Ausführungen, verstanden nichts und befolgten die Aufforderung "schön fertigputzen!" durch komplette Endrindung, was einen professoralen Nervenzusammenbruch und das Ende der akademischen Weinbaukarriere zur Folge hatte.

Reservezapfen, Strecker, Ersatzholz, Cordon, Bogen, Augen zählen ... - wer soll sich das alles merken? Egal, befreundete Winzer, kluge Bücher, das Internet und ein abgeschlossenes Biologiestudium führten dazu, dass der Schnitt verstanden wurde und seit Jahren professionell appliziert wird.

Weinstock lesen

Man lernt, einen Weinstock zu lesen, sucht sich die stammnächsten, gesunden Triebe aus, lässt in Summe neun bis zwölf Augen auf den beiden Trieben stehen und schneidet nahezu alle anderen Triebe weg. Nahezu, weil ein Ersatzholz, ein Reservezapfen durchaus rettend einspringen können, wenn beim Biegen oder durch frühen Hagel die vorgesehenen Triebe Schaden nehmen.

Aber Schnitt ist nicht Schnitt. Es gibt weltweit die unterschiedlichsten Techniken, ja, man muss sogar von Schulen sprechen, und es ist jeder Winzer davon überzeugt, dass seine Technik die richtige ist. Die Jünger ihrer Schulen sind streitbare Vertreter und lassen links und rechts von sich nichts gelten. Die irren in Wahrheit alle. Es gibt eine einzige richtige Technik, und das ist meine.

Ich nenne diese Technik nach dem wunderbaren Polizeichef Louis Renault aus dem Film Casablanca, der, gefragt nach seiner Überzeugung, antwortet, er richte sich nach dem Wind, die Louis-Louis-Technik. Ich nehme mir vor, elegante Doppel-Pendel-Bögen zu schneiden. Weil ungeschickt oder deppert (das einschließende "Oder"), bricht einer der beiden zu biegenden Triebe ab, und ich wechsle auf die immer noch hübsch anzusehende Schule des einfachen Flachbogens. Bricht auch der oder stellt er sich als krankhaft dar, so eskaliere ich zur Zapfentechnik.

Bei der werden alle noch vorhandenen Triebe auf drei bis vier Augen runtergeschnitten. Es bleiben also nur hässliche Zapfen stehen. Treiben diese Augen im Frühjahr aus und zerstören diese jungen, noch weichen Asterln Sturm oder Hagel, so zünde man sich gelassen ein Pfeiferl an und weiß sich durch das Ersatzholz samt Reserveaugen gerettet. Hat man das nicht in petto, so gibt es im Folgejahr eh wieder die Möglichkeit, mit den eleganten Doppel-Pendel-Bögen samt Louis-Louis-Technik zu beginnen. Spiel's noch einmal, Sam! (Gregor Fauma/Der Standard/rondo/25/03/2011)