Wenn weniger mehr ist, dann hat der Galerist und Designer Jörg Schellmann ganz schön viel gestaltet.

Foto: Schellmann Furniture, München

Regal "Storage"

Foto: Schellmann Furniture, München

"Seat frame sofa"

Foto: Schellmann Furniture, München

"Coattrack"

Foto: Schellmann Furniture, München

"Library"

Foto: Schellmann Furniture, München

München. Schwabing. Das gute, teure Schwabing. Wo sich alle Vorurteile über Bayerns Hauptstadt bestätigen. Ausgreifende Häuser in gemäßigtem bürgerlichem Jugendstil säumen dekorativ mächtige Straßen mit Bäumen. Die Fassaden erstrahlen in Sattgelb und weisen noch immer die originalen güldenen mythologischen Ornamente und Dekore auf. In einem Hinterhof liegt ein mehrstöckiger steingrauer Betonblock: monolithisch, scheinbar monoton, scheinbar abweisend. Durch und durch funktionalistisch. Hier betreibt seit drei Jahren Jörg Schellmann seine seit mehr als 40 Jahren bestehende Kunstgalerie. Und er hat vor einigen Jahren damit begonnen, Möbel international bekannter Künstlerinnen und Künstler wie Rachel Whiteread, Liam Gillick und Joseph Beuys, Donald Judd und Gerhard Merz zu bauen. Und ging dann noch einen Schritt weiter: Unter dem Label Studio SF begann er als sein eigener Designer eine eigene Möbelproduktion.

Selten spiegelt das Außen, die Architektur, das Innen so präzis wider wie hier. Denn Schellmann zeigt Künstler der Minimal Art in streng in Grau und Dunkelweiß gehaltenen hohen Räumen, in die kaum ein Geräusch dringt. Auch seine Möbel sind puristisch, minimalistisch, stark reduziert. Gerade Linien, keine Verzierungen, nichts lenkt von Form und Nutzung ab, nichts Überflüssiges weisen seine Regale auf, weder das überbreite Ein- und Zweisitzersofa noch der auf das Allernötigste, auf das Skelett heruntergestrippte Kleiderschrank. Nicht die radikal abgemagerte Stablampe: ein Stab, eine Lampe. Nicht der Schreibtisch aus Stahl und Aluminium mit polierter MDF-Platte, der die Ableitung aus der Arbeitswelt nicht einen Moment lang verleugnet. Und doch versprühen die derzeit noch als Einzelstücke gefertigten Möbel zugleich einen wahrnehmbaren skulpturalen Hauch.

Die Anmutung eines Arbeitstisches

Schellmann ist ein schlanker, ganz in Schwarz gewandeter, agiler und eloquenter Mittsechziger mit grauem Haarkranz, der auch in New York eine Galerie betreibt, bekennt offen seine Abscheu vor sinn- und vor allem vor funktionslosen Verspieltheiten. "Wenn ein Tisch aussieht wie ein Flugzeugflügel, fühle ich mich an so einem Tisch nicht wohl", gesteht er. "Das ist dann vielleicht ein Gag und sieht gut aus. Wenn ich so etwas in einer Werbeagentur sehe, sage ich: Habt ihr gut gemacht. Aber ich will an so einem Tisch nicht sitzen. Die Anmutung eines Arbeitstisches gefällt mir besser als die Anmutung eines Wohnzimmertisches. Die Anmutung eines Schulstuhls gefällt mir besser als die Anmutung eines Stuhls für das vornehme Esszimmer."

Für ihn ist die Aufspaltung in einerseits Kunsthändler und andererseits Möbeldesigner kein Problem, ja nicht ansatzweise ein Gegensatz: "Es gibt viele Möglichkeiten, beispielsweise für ein anständiges Büchergestell. Dann kommt schnell die Frage: Wie soll das aussehen? Und dann bin ich bei Erwägungen, wie sie in der Kunst auch gemacht werden: Eine Form zu suchen, die in sich stimmig ist, die nichts vorgibt, was sie nicht einlösen kann, die nicht täuscht, sondern eher die konstruktiven Grundbedingungen offenlegt."

Der Liebhaber pointierter Paradoxe macht dann einen intellektuellen Schritt zur Seite: "Praktische Erwägungen bei Kunst sind ungute Erwägungen. Bei Möbeln ist es genau umgekehrt. Da steht der praktische Nutzen im Vordergrund. Ich muss einen Stuhl, auf dem man gut sitzen kann, nicht neu erfinden. Praktische Erwägungen sind nicht Ziel meiner Überlegungen, sondern sie sind Voraussetzung. Das führt dazu, dass Leute mir, der ich nun absolut keine Kunst mit Möbeln machen will, unterjubeln könnten: 'Heimlich will er's doch.' Aber nein, will ich wirklich nicht. Ich arbeite nur oft mit den Mitteln von Halb und Ganz, von Teilung und Zusammenführung, von Positiv- und Negativpol, also mit aus der Minimal Art kommenden einfachen formalen Verhältnissen, von innen und außen, von oben und unten, von roh und behandelt."

Geistige Einzugsgebiete aus dem Bauhaus

Sind seine rigiden Entwürfe asketische Möbel für ernste und harte Zeiten? Schellmann wägt ab. "Natürlich", gibt der Fan von Refektoriumstischen zu bedenken, "ist auch eine mönchische Sparsamkeit vorhanden. Das ist mir wichtig. Das ist genau das, was mich fasziniert. Aber diese Strenge soll jetzt", und das betont Jörg Schellmann, "auf keinen Fall moralisch wirken." Weil: "Das wäre ja auch lächerlich in einer Überflussgesellschaft. Jedenfalls hab ich selber am Ende immer einen ganz großen Spaß daran. Glauben Sie nicht, dass ich mich kasteie!"

Als "geistige Einzugsgebiete" (Schellmann) für seinen kompromisslos reduktionistischen Ansatz nennt er das Bauhaus und die sogenannte Zweite Moderne, also die Minimal Art der 1970er- und 1980er-Jahre.

Die legendäre Ulmer Hochschule für Design sprach auf ihrem Wirkungshöhepunkt von einer Moral der Dinge. Schellmann stimmt dem nachdenklich zu, ist dabei alles andere als hochfliegend: "Wenn man das sagt, klingt es, als wolle man die Welt verbessern - was nicht so schlecht wäre. Es muss irgendetwas an einem Möbel geben, was in der Welt der Gedanken eine Rolle spielen kann. Wenn ich einen Schreibtisch mache, dann ist er auch von der Idee beeinflusst, dass er zum Leben gehört, nicht abgespalten vom Leben in den Arbeitsbereich gehört. Es schwingt immer eine Lebensform mit. Wenn man über Möbel nachdenkt, wenn man über Architektur nachdenkt, sinnvoll nachdenkt, kommt man immer letztlich auf die Frage, wie das Leben sein könnte. Welche Lebensform, welche Sicht der Dinge ist gemeint?" (Alexander Kluy/Der Standard/rondo/13/05/2011)