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Die alten Chinesen haben seit vielen Jahrtausenden eine Erklärung, warum die Zitrone im Sommer guttut. Sauer schmeckende Nahrungsmittel haben in der Traditionellen Chinesischen Medizin eine bewahrende Funktion im Hinblick auf Körpersäfte, heißt es. Sie leiten die Energie, das Qi, nach innen, und deshalb bleibt der Körper kühl, auch wenn es draußen heiß ist. Das mögen auch Milz und Leber und die Nase, das "älteste Sinnesorgan" des Menschen. "Zitrus ist grundsätzlich ein leichter Duft und besteht chemisch betrachtet fast ausschließlich aus flüchtigen Stoffen", sagt der Pharmazeut Gerhard Buchbauer von der Universität Wien.

Für ihn sind Düfte Chemikalien mit verschiedenen Molekulargewichten, die - weil sie flüchtig sind - über die Riechschleimhaut mit ihren 30 Millionen Riechsinneszellen im Gehirn interpretiert werden. "Der Geruchsinn ist bei der Nahrungssuche, der Feindvermeidung und der Partnersuche essenziell", sagt Buchbauer. Laut einer Studie von Alan Hirsch wirken Frauen, die Grapefruit-Duft tragen, auf Männer sehr attraktiv.

Kopfnote, Herznote und Basisnoten

Die Kunst der Parfumeure besteht im richtigen Zitrus-Mix, also der Verteilung der Düfte in Kopfnote, Herznote und Basisnoten. Zitrusdüfte und ihre Artverwandten sind wegen ihrer Leichtigkeit meist nur in den Kopfnoten enthalten, "theoretisch ist ihr Duft eine halbe Stunden nach dem Aufsprühen verflogen", sagt Buchbauer. Worum es eigentlich geht, ist Aromen zu finden, die Zitrusdüfte festhalten.

Aber genau darin liegt auch die Crux. "Zitrus ist ein schwieriger Duft", schreibt Tanja Sanchez in Luca Turins Parfumführer, "wenn er zu einfach ist, riecht er nach Backrohrreiniger, wenn er zu komplex ist, verliert er seine Klarheit. Einer der ersten Zitrusdüfte war übrigens Kölnisch Wasser im 18. Jahrhundert, eine Komposition aus verschiedenen Zitrusölen, die als Eau de Cologne ihren Siegeszug antraten. Zitrusdüfte nicht schal und beliebig wirken zu lassen sei eine große Kunst, so Tania Sanchez.

Spielarten der Hesperiden

Es gilt also auf der Klaviatur der Zitrusaromen zu spielen. Rein botanisch betrachtet gehören sämtliche Zitruspflanzen zu den Rautengewächsen, auch als Hesperiden bezeichnet. 1753 schuf der Naturwissenschafter Carl von Linné die Klassifikation "Citrus", zu der er die Zitronatzitrone, die Zitrone, die Bitterorange, die Orange und die Grapefruit zählte. Durch die vielen Kreuzungen gibt es mittlerweile geschätzte 150 verschiedene Arten. Sie alle verbindet, dass sie in ihren Schalen Duftdrüsen tragen, aus denen sich ätherische Öle extrahieren lassen.

Sie werden seit der Antike als Parfums verwendet. Der Name Citrus leitet sich übrigens aus dem Griechischen Kedros - Zeder - her. Der Grund ist das duftende Holz, das Zeder und Zitronatzitrone gemeinsam haben.

Aromachemikalien

Allein: Die meisten der Düfte aus den Schalen der Rautengewächse werden längst nicht mehr aus den Pflanzen gewonnen, sondern synthetisch hergestellt. Aromachemikalien ist der Fachbegriff, und sie sind - was ihren Duft betrifft - stabiler als die Originaldüfte aus den Früchten.

Chemisch betrachtet bestehen sie aus bis zu 100 unterschiedlichen Molekülen. Um sie einzufangen, hat Daniela Audrier für Martin Margiela Mandarine und Zitrone mit grünen Laubnoten und Minze gemixt, in Tom Fords Neroli Portofino verbinden sich Bergamotte, Mandarine mit Orangenblüte, Lavendel und Rosmarin. Grapefruit und Mandarine machen Roger Gallets Fleur d'Osmanthus überaus frisch, und hochinteressant für die Nase ist, wie Guerlain mit Zitrusdüften spielt.

Übrigens: Ursprünglich kommen die Zitronengewächse ja aus Asien. Insofern haben, was die erfrischende Wirkung betrifft, die TCM-Mediziner seit Jahrhunderten recht. (Der Standard/rondo/27/05/2011)