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"Messy" ist eine handgestickte Momentaufnahme von AZE Design.

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Recycling her, Luft rein, Mensch drauf: Das "Blow Sofa" von Malafor wird aus Verpackungsmaterial gefertigt.

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Ein Sauhaufen nach Strich und Faden: Der Camembert ist angeschnitten, auf dem Teller liegen die sterblichen Überreste einer gebratenen Forelle, und zwischen den ganzen wüst herumliegenden Messern und Gabeln ist zu allem Überdruss auch noch ein Glas Wein umgekippt. In roten Schlaufen tropft das Getränk zu Boden.

Die Näher dieser minimalistischen Neuinterpretation von Daniel Spoerris Fallenbildern sind Artur Puszkarewicz und seine Frau Anna Kotowicz. Gemeinsam betreiben sie in Czeremcha, nur wenige Kilometer von der weißrussischen Grenze entfernt, das Designbüro AZE. Ihre Projekte sind im Rahmen der Vienna Design Week vom 30. September bis 9. Oktober in Wien zu sehen. Die alljährliche Nabelschau der Gestaltungskunst nennt heuer den Länderschwerpunkt Polen.

Neben unordentlichen Tischtüchern namens "Messy", die in Handarbeit bestickt werden, entwerfen die beiden ausgebildeten Architekten und Grafikdesigner auch noch freistehende Garderoben in Form stilisierter Telegrafenmasten, Teppiche mit grob gepixelten Folkloremustern aus der Tatra oder etwa kinderzimmertaugliche Tapeten, bei denen die Kids die Blumen- und Flugzeugkonturen selbst ausmalen können. Es ist ein Design, das zum Schmunzeln anregt.

Gleiche Einstellung wie im Kommunismus

"Solche Metaphern und humoristischen Anspielungen wie bei uns sind bei den polnischen Designern sehr oft zu finden", erklärt Anna Katowicz. "Das hat vor allem mit der industriellen und wirtschaftlichen Situation in unserem Land zu tun." Viele Betriebe, meint die Designerin, hätten heute noch die gleiche Einstellung wie im Kommunismus: Sie stellen immer noch die gleichen altmodischen Produkte mit der gleichen minderwertigen Qualität her wie damals, als noch Hornbrillen und breite Krawatten getragen wurden. An Erneuerung wagt niemand zu denken.

"Die Firmen trauen den jungen Leuten einfach nicht", sagt Katowicz. "Lieber geben sie die Aufträge an alte, abgebrühte Ingenieure und Konstrukteure, mit denen sie schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Die Jungen dürfen bestenfalls ein paar Zeichnungen anfertigen. Aber Produktion oder gar Serie? Von wegen! Was bleibt uns anderes übrig, als das zu akzeptieren und auf einer Art Metaebene weiterzuarbeiten?"

AZE ist kein Einzelfall. Marta Bialecka and Anna Piwowar von Lapolka entwarfen Jäger-Flip-Flops mit Riemen aus Gummigeweih, "mundgeblasene Weingläser", die man im wahrsten Sinne erst einmal aufblasen muss, um daraus trinken zu können, und eine Fitness-Schokolade mit unterschiedlich großen Stücken zu 15, 30 und 60 Kalorien. Allesamt Prototypen.

Von einer Wohnung in die andere

Agata Kulik-Pomorska und Pawel Pomorski von Malafor wiederum nahmen sich der Restbestände aus der Verpackungsindustrie an und klebten die reißfesten Papiere zu einem aufblasbaren Sofa zusammen. Sobald die Luft draußen ist, kann man mit dem "Blow Sofa" unterm Arm von einer Wohnung in die andere siedeln. Sehr praktisch. Und das Büro Beza Projekt entwickelte den "Vanishing Bin", einen Papierkorb, der aus zehn ineinander gesteckten Einwegpapiersäcken besteht. Nach zehn Entleerungen ist das Designobjekt verschwunden. Eine schöne Metapher. Alles nur Prototypen.

"An Zusammenarbeit mit den großen Firmen ist leider nicht zu denken", bestätigt Anna Loskiewicz von Beza Projekt. "Die Industrie ist fokussiert auf den nationalen Markt und beliefert ihn mit billigen und wenig inspirierten Produkten. Wir hören oft: Ja, das ist ein schönes Projekt, aber viel zu teuer und viel zu fortschrittlich und herausfordernd für den polnischen Markt. Es ist eine traurige Situation."

In dieser Abkehr von den Jungen entstand in Polen in den letzten Jahren eine florierende Designszene mit Sinn für Humor. Vielleicht auch mit einem Schuss Zynismus. Statt ihre Entwürfe den großen Unternehmen anzubieten, nehmen sie die Sache nun selbst in die Hand, produzieren Kleinserien, die sie selbstständig über die Homepage vertreiben, und räumen einen Designpreis nach dem anderen ab. Und wovon leben sie? Die Antwort in sämtlichen Büros fällt gleich aus: "Von Grafik-Design, vor allem von Plakatentwürfen und Büchern", meint Anna Katowicz von AZE. "In diesem Bereich hat Polen schon seit den 1960er-Jahren eine sehr ausgeprägte und fortschrittliche Kultur. Da herrscht Vertrauen. Was für ein Glück! Damit verdienen wir unsere Brötchen." (Wojciech Czaja/Der Standard/rondo/23/09/2011)