Nun ist es offiziell: Deutschland verfehlt heuer erneut die Maastrichtkriterien. Der deutsche Finanzminister Hans Eichel erwarte für dieses Jahr ein Defizit von 3,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), sagte eine Ministeriumssprecherin am Wochenende. Eichel habe den Wert, der über der Obergrenze des Stabilitätspakts von drei Prozent liegt, am Freitag im Halbjahresbericht über den Zustand der deutschen Staatsfinanzen an die EU-Kommission gemeldet. Die Gesamtverschuldung liegt mit 65 Prozent des BIP auch über dem Maastrichtwert von 60 Prozent.

Das deutsche Staatsdefizit betrug im Vorjahr 3,9, ein Jahr davor 3,5 Prozent. Damit der Stabilitätspakt 2005 nicht zum vierten Mal gebrochen werde, habe Eichel die Kabinettskollegen zur Verschärfung des Sparkurses aufgefordert. Die Ressorts sollen insgesamt zwei Mrd. Euro kürzen.

Sechs bis zehn Milliarden Euro einsparen

Der SPD-Haushaltsexperte Walter Schöler und seine Kollegin von den Grünen, Antje Hermenau, haben jedoch einen viel höheren Betrag errechnet: "Um 2005 die europäische Defizit-Obergrenze einzuhalten, muss allein der Bund weitere sechs bis zehn Milliarden Euro einsparen", so Hermenau.

Die jüngsten Zahlen aus Deutschland werden die Debatte um den EU-Stabilitätspakt wieder anheizen. Ende November hatten die EU-Finanzminister mehrheitlich die Sanktionen von Währungskommissar Pedro Solbes gegen die Defizitsünder Deutschland und Frankreich abgelehnt und dem Brüsseler Apparat eine beispiellose Niederlage zugefügt. Österreich war damals auf der Seite der EU-Kommission.

Verklagen

Die Kommission verklagte die Mitgliedstaaten deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof. Im Frühjahr will Solbes ein Diskussionspapier vorlegen, in dem mögliche Verbesserungen des Pakts vorgeschlagen werden. Beim Berliner Gipfel am 18. Februar hatten die Staats- und Regierungschefs aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien eine Änderung des Stabilitätspaktes gefordert.

Der deutsche Rechnungshof kritisierte die Finanzpolitik der Bundesregierung in ungewöhnlich scharfer Form. "Die finanzwirtschaftliche Entwicklung des Bundes ist Besorgnis erregend", heißt es in einer Analyse der Rechnungsprüfer, aus dem das Magazin Focus zitiert. Allein für die Haushaltsjahre 2004 bis 2006 rechne Eichel inzwischen mit rund 50 Milliarden Euro mehr neuen Schulden als ursprünglich geplant.(Alexandra Föderl-Schmid aus Berlin, Der Standard, Printausgabe, 01.03.2004)