Robert Forster in cooler Pose: Der Film "Medium Cool" von Regisseur Haskell Wexler aus dem Jahre 1969.

Foto: Filmmuseum
Das Filmmuseum widmet sich der New-Hollywood-Ära: Neben Filmen von Martin Scorsese, Francis Ford Coppola und John Cassavetes gewähren experimentelle Werke Einblick in den "aufgeheizten" Charakter der späten 60er- und 70er-Jahre.


Wien - Die Kamerateams standen einander auf den Füßen, als die Demokraten 1968 ihren Wahlkonvent in Chicago abhielten. Während die demonstrierenden Studenten die Kandidatur von Eugene MacCarthy forderten, wurde drinnen der chancenlose Hubert Humphrey nominiert. Zwei wichtige Filme wurden unmittelbar in den wütenden Auseinandersetzungen zwischen den "pigs" (Polizisten) und der Protestbewegung gedreht: Medium Cool von Haskell Wexler und Summer of '68 des Kollektivs Newsreel.

Wexler schickte einen Fernsehjournalisten auf eine desillusionierende Fahrt quer durch die Stadt. Zur selben Zeit suchten die linken Wochenschau-Leute von Newsreel wie auf einem Feldherrenhügel nach der besten Position, um das System mit der Kamera aus den Angeln zu heben. Im Rückblick ist Medium Cool einer der hellsichtigsten Filme über die US-Mediendemokratie, auch ein Höhepunkt von New Hollywood.

Das Österreichische Filmmuseum, das einen neuen Anlauf unternimmt, diese Ära zu begreifen, fasst den Untersuchungszeitraum großzügig von 1966 bis 1978. Es sind die Jahre, in denen jene Massenkultur entstand und sich verfestigte, deren gemeinsames Ritual nicht mehr die Radioansprachen von Präsident Roosevelt oder die Notfallübungen für den atomaren Ernstfall waren, sondern die Möglichkeiten des Konsums.

Während das Fernsehen die Integration der Gesellschaft übernahm, stand das Kino in den 60ern ohne Agenda da. New Hollywood war weniger eine Konsequenz, vielmehr Ausdruck dieser Krise. Unbekannte Regisseure stießen in ein System vor, das sich selbst nicht mehr verstand. Dennis Hoppers Easy Rider stand zu allen Regeln der Kunst im Widerspruch: ein Roadmovie ohne positive Identifikationsfigur, ein "bad trip", der im Avantgardefilm endet.

Revidierter Western

Der Erfolg von Easy Rider war ein Signal. Einige Jahre lang gab es grünes Licht für Projekte, die ohne die langen Entwicklungsprozesse des klassischen Studiosystems gedreht wurden. Das Kino näherte sich der Popkultur (Cisco Pike), revidierte den Western (Sam Peckinpah, Arthur Penn), entdeckte spezifische Milieus (Mean Streets), und entwickelte skandalöse Formen der Allegorie (Night of the Living Dead, 1968).

Die Westküste blieb der Ausgangsort, aber in New York entstand eine ganz eigene Kultur des subjektiven Films, die in David Holzman's Diary (Jim McBride, 1967) ihren tragikomischen Höhepunkt hat, in den Epen von Jonas Mekas und Andy Warhol ihre größte Ausdehnung erreichte und in Emile de An- tonio und Robert Kramer zwei Giganten des politischen Kinos ausbildete. Der Austausch zwischen diesen beiden Epizentren blieb auf Oberflächlichkeiten beschränkt, ist aber von Bedeutung für die Definition von New Hollywood.

Der Begriff reicht eigentlich nicht weit genug. Topografisch ist auf jeden Fall der gesamte Kontinent im Blick. Das Kino wird geografisch. Das Roadmovie ist so etwas wie das genuine Genre dieser Zeit, und Monte Hellmans Two-Lane Blacktop (1972) bezeichnet vermutlich die Peripetie. Zwei Teams, zwei Autos liefern einander ein Wettrennen in Richtung Osten, das Florida als Ziel hat, letztlich aber ziellos bleibt und in einer typischen Geste der filmischen Selbstaufhebung endet.

Die Popstars Dennis Wilson und James Taylor sind Vorboten einer "blank generation", die später auf die Kellerbühnen von New York trat. In Two-Lane Blacktop implodiert die US-Mythologie von "frontier" und "heartland", und Hellman ist radikal genug, nichts an diese Stelle zu setzen, sondern sie leer zu lassen. Wann hört New Hollywood auf? Es gibt gute Gründe, Francis Ford Coppolas Apocalypse Now! (1979) und Michael Ciminos Heaven's Gate ( 1980) als Endpunkte einer Bewegung zu sehen, die letztlich zu innovativ war, um ein neues Paradigma zu entwickeln. Das neue Hollywood ist das, mit dem wir es seit den 80ern zu tun haben. Dessen Gesetze werden von Investoren und Technikern geschrieben. Für die Zeit davor trifft ein anderes Wort vielleicht besser zu: Es ist ein Delirious Hollywood, das sich an Pop wie an Politik infiziert hatte. Es bildete Symptome aus, aber keine Regeln, und blieb deswegen ein Phänomen des Übergangs. (DER STANDARD, Printausgabe vom 1.3.2004)