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Die alte Speicherstadt

Foto: Archiv
Mit der neuen "Hafencity" rückt die Hansestadt an Elbe und Hafen heran.

Wo das wohl wieder herkommt? China? Panama? Russland? Schifferl-Erraten-Spielen. Das kann man am besten in Wedel. Ein kleiner Hamburger Vorort mit niedrigen Backsteinbauten. Eine halbe Stunde radelt man von Hamburg dorthin. Vorbei an Schafen, die auf den Dämmen der Elbe grasen, vorbei an den Backsteinbauten und Schilfbänken.

In Wedel steht das so genannte "Willkommenshöft", Hamburgs "Schiffsbegrüßungsanlage". Eigentlich ist es ja nur ein großes Ausflugsgasthaus, aber ein findiger Wirt hat hier in den 50er-Jahren 44 große Lautsprecher Richtung Elbe gerichtet und eine automatische Flaggenhissmaschine mit 150 Fahnen installiert. Auf Knopfdruck spielt das Ding die jeweilige Landeshymne des Schiffes.

Frachter, die hier ein- und ausfahren, werden mit schmetternden Fanfaren begrüßt. Jetzt tönt gerade die chinesische Hymne, und ein etwas schrulliger Mann mit Kapitänsmütze erklärt über einen Lautsprecher, dass der Frachter, der hier gerade majestätisch vorbeizieht, vor sechs Monaten den Hafen von Hongkong verlassen hat. "Hamburg heißt Sie herzlich willkommen", schallt es über die Elbe. So also sieht eine offene Stadt aus. Chinesische Schiffe neben Schafen.

Ein paar Matrosen winken zurück Die Wirtsstube am "Willkommenshöft" ist voll von Dankesschreiben der Seeleute. Anerkennung für ein bisschen menschlichen Kontakt. Von Hamburg werden die Matrosen nicht viel sehen. Heute kommen sie ja nicht einmal mehr dazu, ihr Schiff zu verlassen. In wenigen Stunden kann so ein Hochseeriese in Hamburgs Hightechhafen be- und entladen werden.

An St. Pauli, die Reeperbahn und an die Frauen hinter den Fenstern der Herbertstraße brauchen die Seeleute daher erst gar nicht zu denken. Die schmuddelige Suff- und Puffmeile ist den Touristen vorbehalten. Vorbei die Zeiten, als grimmige Seeleute in Hamburg schwere Kaffeesäcke verluden, die Segel setzten oder Fisch am Elbufer verkauften.

Nur die weißbärtigen Touristenkapitäne mit ihren hölzernen Ausflugsbarkassen wollen noch daran erinnern, dass hier einmal das Herz der Handelsstadt geschlagen hatte. Der alte Hafen, er verkam zum Brachland und zur Touristenattraktion mit hübschen Museumsschiffen. Das soll sich ändern. Bald wird hier wieder richtig urbanes Leben einkehren. Im Schatten der Speicherstadt Im Schatten der Speicherstadt drehen sich die Bagger, um Hamburg eine neue futuristische Skyline zu schenken. Die Stadt der Pfeffersäcke soll wieder an die Elbe rücken. Nur wenige Schritte von Rathaus und Binnenalster entfernt wird ein völlig neuer Stadtteil, die "Hafencity", aus dem Wasser ragen.

Es war Zeit, dass hier endlich wieder etwas passiert. Nachdem ein schlauer Spediteur in den 50er-Jahren den genormten Container erfunden hat, hat sich die dem Wasser zugewandte Seite der Stadt komplett verändert. Der Hafen, das Füllhorn der Stadt, wurde zum Containerlager, wuchs hinaus in den Süden, weg von der Stadt. Die Elbe wurde vertieft und vergiftet. 5000 Schiffe löschen pro Jahr ihre Ladung und nehmen Waren auf, die in über tausend Häfen der Welt verschifft werden.

Die Hamburger merkten davon allerdings nicht viel. Denn die Stadtplaner wandten sich lange Zeit vom Wasser ab. Sie bauten vor allem im Norden. Und da meist nur neue, meist hässliche Wohnsiedlungen. Die sind heute voll mit sozialem Sprengstoff, den Richter Gnadenlos, Roland Schill, für einige Zeit geschickt zu zünden wusste.

Nur wer Geld hatte, konnte am Wasser leben Etwa in den mächtigen Villen der Elbchaussee oder in feinen Residenzen an der Außenalster, wo Segelschiffchen und Eisläufer ihre Runden drehen. Einige wenige hatten vielleicht sogar das Glück, in einem der herausgeputzten kleinen Fischerhäuschen hinter dem feinsandigen Elbstrand von Oevelgönne zu wohnen.

Doch vis-à-vis der Docks und Kräne wollte sich seltsamerweise niemand so wirklich niederlassen. Nur ein paar Hausbesetzer erkannten die prächtige Lage. Sie kämpften in den Achtzigern in der Hafenstraße um die alten Häuser, die von Spekulanten abgerissen werden und durch riesige Büros ersetzt werden sollten.

Die Abrissbirne sauste zu dieser Zeit gewaltig durch die Hansestadt, schlug Schneisen durch die Altstadt und legte alte Kontorhäuser und romantische Hafengebäude um. Selbst die alte Fischauktionshalle wurde nur in letzter Minute gerettet - und verkommt heute zum Bierzelt. Denkmalschutz war (und ist) eben kein Anliegen geschäftstüchtiger Hanseaten. Nach den Punks die New Economy

Nach den Punks kamen mit der New Economy all die Kreativen. Designer, Medienleute und Architekten setzten Hornbrillen auf und entdeckten den Charme des Hafens. Hinter den Landungsbrücken bauten die Kapitäne des Gruner&Jahr-Verlages ihr silbernes, futuristisches Verlagsschiff. Alte Hafenanlagen wurden verglast und verchromt, es entstanden Terrassen mit Elbblick. Alle drängen zum Wasser.

Jetzt wird auch das Brachland hinter der Speicherstadt entdeckt. Die größte urbane Baustelle Europas ist eröffnet. Auf 155 Hektar soll sich die Hafencity erstrecken. 2020 wird alles fertig sein. Ob das wohl alles gut geht? Schon gibt es Befürchtungen, dass der neue Bezirk nur noch den Yuppies und Geschäftsleuten gehören wird.

"Das Ganze hat keine Erotik, da knistert nichts", rügte Egbert Kossak, ein Hamburger Oberbaudirektor. Statt erschwinglicher Wohnungen, so die Kritik, würden vorrangig lukrative Büros gebaut. Die Stadtväter werden an der Hafencity jedenfalls kräftig verdienen. Mit rund 230 Millionen Euro Einnahmen rechnet die Stadt. Sie schwärmen von utopistischen Bauten und neuen "Erlebniswelten" am Wasser.

Am Sandtorkai, gleich neben den Teppich- und Kaffeespeichern wachsen Betonfundamente für Wohn- und Bürokomplexe aus dem Boden. Gleich daneben, auf dem Dach des riesigen Kaispeichers soll eine futuristische Konzerthalle entstehen. Das älteste Hafenbecken

Der Sandtorhafen, das älteste Hafenbecken Hamburgs, wird zum "Traditionsschiffhafen" und, wie es der Prospekt verspricht, "mit historischen Schiffen bespielt werden". Von "Company-Lofts", "Science-Centern" und "Maritimen Erlebniswelten" schwärmen die Planer. Über 10.000 Menschen sollen hier wohnen, doppelt so viele sollen Arbeit finden.

Ob Hamburgs Speicherstadt dann noch so verlassen und dennoch abenteuerlich wirkt? Noch ist es hier abends wunderbar ruhig. Aus den riesigen Speichern duftet der gelagerte Kaffee. Da sitzen zwei Perser auf ihren Teppichen und verhandeln. Von der anderen Seite der Elbe tönt fernes Donnern und Wiehern der gigantischen Hafenkräne herüber.

Im orange erleuchteten Nachthimmel packen Hunderte Greifarme unentwegt nach einem der Tausenden von Containern. Ganz leise hört man Frachter, Fähren, Wellen und Werften. Dann kreischt da doch wirklich so eine Möwe. Die Stadt hat ihre spektakulärste Kulisse wiederentdeckt. Noch kann man sie fast alleine genießen. Und still, ganz für sich, die Schiffe erraten. (Der Standard/rondo/12/03/2004)