Ein falscher Bär unter sprechenden Elchen: Der letzte handgezeichnete Disney-Zeichentrickfilm "Brother Bear" erinnert an klassische Arbeiten des Studios.

Foto: Buena Vista

Im Disney- Animationsfilm "Brother Bear" wird ein Indianerbub in einen Bären verwandelt: Dominik Kamalzadeh (DER STANDARD) sprach mit den verantwortlichen Regisseuren und Zeichnern.

Wien – Worin besteht die größte Schwierigkeit, einen Bären als Zeichentrickfigur zum Leben zu erwecken? Alex Kupershmidt, Supervising Animator bei der jüngsten Disney-Produktion Brother Bear/ Bärenbrüder, zögert: "Nun, das Zeichnen ist das Problem. Im Ernst: Man muss eine bestimmte Qualität finden, das Spezifische: was einen Bär zum Bären macht. Da sind Limits von Vorteil. Und man muss Zuneigung zu seiner Figur empfinden. Wenn man über sie nachdenkt, sollte man sich die Idee dahinter vorstellen, die menschliche Facette."

Eine geradezu platonische Antwort, charakteristisch für die Philosphie des Disney-Studios: Die Idee hinter der Erscheinung ist wichtiger als diese selbst. Kupershmidt war in Brother Bear für eine der zentralen Figuren verantwortlich, für Koda, einen Bärenbuben, der sich Kenai, einem etwas älteren Genossen, an die Fersen heftet. Letzterer ist eigentlich gar kein Bär, sondern ein Indianerbub der Prähistorie, der für seine Hybris bestraft wird: Um Respekt für die Tiere zu erlernen, wird er selbst in eines verwandelt.

Am Anfang stand die Idee, einen Film über Bären in Nordamerika zu drehen, erzählen Aaron Blaise und Bob Walker, die mit Brother Bear ihr Regiedebüt geben: "Wir recherchierten allerlei Mythen über Bären, und so kamen wir auch zu Fabeln der Native Americans. Mythen von Menschen, die sich zu Tieren verwandeln, gibt es da zuhauf. Man hat sie von Generation zu Generation weitergetragen. Wir haben aus Teilen dieser Geschichten eine eigene Version erstellt."

Primat der Story

Gedauert hat dieser Prozess ganze sechs Jahre – auch eine Art von "job security", scherzt Blaise -, in denen die Geschichte laufend modifiziert wurde. Der guten "Story" wird bei Disney immer noch die größte Aufmerksamkeit zuteil; sie ist der Kern des Films, der Schritt für Schritt entwickelt wird: "Wertvolle" Themen wie Brüderschaft, Verantwortung oder der Schritt zum Erwachsenwerden werden wie ein Entwicklungsroman, mit viel Emotion, aber auch dosierten komischen Effekten – ein schusseliges Elchpaar verbucht die meisten davon -, vermittelt.

Brother Bear schließt in dieser Hinsicht eher an weiter zurückliegende Disney-Erfolge wie Bambi oder auch das Das Dschungelbuch an, auch ästhetisch: Die flachen Naturpanoramen erinnern weniger an realistische Darstellungen als an expressive Malerei. Die psychologische Ausmalung der Figuren hat Vorrang gegenüber Aktionsszenen. Für den Produzenten Chuck Williams war aber auch die ethnische Komponente von Bedeutung, der Fokus auf Native Americans und deren mystische Welt – etwas, was er bei Pixar, den Machern von Finding Nemo, vermisst:

"Bei Pixar gibt es stets weiße, suburbane Mittelklassecharaktere, die auf ein Abenteuer aufbrechen – man hat dort einen Weg gefunden, einen stets sehr ähnlichen, erfolgreichen Film zu machen. Wir haben einen anderen Ansatz: Erfolg und Niederlage sind möglich, gut und böse nicht mehr so klar zu trennen. Lilo & Stitch erzählt von einem Mädchen, das beinahe bei der Sozialfürsorge landet. In Brother Bear geht es um einen Indianerbuben, der von seinen Ahnen in einen Bären verwandelt wird. Wir versuchen, das Genre zu erweitern."

Diese Strategie kann man allerdings auch anders erklären: als notorischen Versuch, ein Erfolgsrezept gegen die Konkurrenz des computeranimierten Films zu ermitteln. So mutet Brother Bear, der letzte von Hand gezeichnete Film des Traditionsstudios, denn auch ein wenig nostalgisch an. Mit der Idee, den Film im konventionellen Format beginnen zu lassen und dann auf Cinemascope – und Bärenperspektive – umzustellen, wird etwa nochmals die Qualität dieser Technik zelebriert.

Regisseur Walker: "Das soll bewirken, dass das Publikum noch stärker am Geschehen teilhat. Die Wandlung der Charaktere vollzieht sich visuell, und damit wird deren Wahrnehmung ein wenig auf den Zuschauer übertragen. Wir öffneten den Bildausschnitt, wechselten die Farben und beschleunigten die Kamera."

Wechsel ins Digitale

In Zukunft wird sich auch Disney ganz auf den computeranimierten Film konzentrieren, das Studio in Orlando, Florida, wo Brother Bear realisiert wurde, schließt noch dieses Jahr. Die Beteiligten beurteilen diese Entscheidung durchaus unterschiedlich. Pragmatisch bis resigniert klingen die Regisseure Blaise und Walker: "Es ist, wie es ist. Den Schwerpunkt Computeranimation diktiert einem auch die Öffentlichkeit. Und wenn diese nicht mehr so neu und aufregend ist, dann kommt die handgezeichnete Variante vielleicht wieder zurück. Oder die Techniken nähern sich wieder einander an."

Kupershmidt, als Supervising Animator am direktesten betroffen, verbittet sich etwa jede nostalgische Wehmut. Er betrachtet die Entwicklung innerhalb einer größeren industriellen Umstellung, die längst auch andere Filmbereiche wie etwa den Schnitt oder den Ton berührt: "Es mag Sie überraschen: Aber für mich hat Animation nichts mit Zeichnen zu tun. Ich animiere nicht, damit ich malen kann. Ich male, damit ich Filme machen kann. Es ist einfach eine andere Technik, die auch vieles erleichtert. Die Diskussion erinnert mich an jene, als Bob Dylan elektrisch wurde. Es gab einen Aufschrei. Aber es war immer noch Dylan: Seine Poesie hat nicht darunter gelitten." (DER STANDARD, Printausgabe, 18.3.2004)