der Standard: In Ihrem Aufsatz schreiben Sie, mit gut 40 Jahren hätten Sie erstmals die "Wonnen der Gewöhnlichkeit" genossen. Was ist so falsch daran, im Wohnzimmer Gemütlichkeit zu empfinden?

Robert Gernhardt:Ich habe lange in Wohngemeinschaften gewohnt, und diese provisorischen Lebensformen waren immer sehr unterhaltsam. Ich finde es ganz richtig, wenn der Mensch, der ins Leben tritt, sich nicht sofort auf die vorgefundenen Strukturen einlässt. Wenn ich höre, dass sich Leute schon früh verschulden, um sich einzurichten, dann habe ich Mitleid. Warum sich zu früh festlegen? Was einem gemäß ist zu wohnen, bekommt der Mensch erst im Laufe längerer Versuche heraus.

der Standard: Dann ist das durchschnittliche deutsche Wohnzimmer - angeblich 22 Quadratmeter groß, mit vollen Regalen und pastellfarben eingerichtet - für Sie ein erschreckender Ausdruck von Normalität?

Robert Gernhardt: Nein, überhaupt nicht. Oft gruselt es mich natürlich, wenn ich Kataloge durchschaue: Was sich der Mensch alles ausgedacht hat an abstrusen Formationen zum Sitzen! Und welche Hoffnungen damit verkauft werden sollen. Ich glaube diesem Versprechen nicht, dass neue Möbel auch ein neues Leben bedeuten. Doch ich will das nicht dämonisieren. Ich habe in meinem Aufsatz niedergeschrieben, was für mich sehr bildend war: die anfänglichen Widerstände gegen das Wohnen. Nicht gegen das Dach überm Kopf, wohl aber gegen die Festlegung, die Wohnen bedeutet.

der Standard: Weil eine eingerichtete Wohnung bürgerliche Etabliertheit bedeutet hätte.

Robert Gernhardt: Ich wollte ja Künstler werden, und als Künstler wohnt man nicht, sondern haust. Mein Vorbild war Picasso: Der kaufte ein Schloss, malte es voll mit riesigen Bildern und kaufte dann das nächste Schloss. So hätte es laufen müssen mit dem Künstlerleben. Die Frage ist doch immer: Welche Ziele habe ich? Und da gibt eine Wohnung auch eine Antwort drauf. Mit ihr kann man klassifiziert werden. Als ich vor 40 Jahren das erste Geld verdiente, hätte ich mir richtige Möbel leisten können, lebte aber weiterhin mit Obstkisten und Selbstgestaltetem. Erst nach dem Kauf meiner ersten wirklich teuren Möbel - Stahlschränke für meine Zeichnungen - merkte ich: Das Leben wird in dem Maße leichter, in dem ich meine Sachen finde. Und das ist mir am Wohnen am wichtigsten, denn so spart man Zeit. (Mareike Müller, DER STANDARD, rondo/19/03/2004)