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Über 30.000 Leser haben im deutschen Sprachraum bisher alle 50 Bände der Reihe (weitere Informationen: Siehe Seite 35) bestellt; 2,8 Millionen Bücher wurden bis dato bestellt. Die Einführung zu Ecos "Der Name der Rose" besorgt heute der Kritiker Burkhard Müller.

Wir befinden uns im 14. Jahrhundert. Der Papst, habgierig und schlau, hat unter dem Druck des französischen Königs nach Avignon umsiedeln müssen; die Einheit der Kirche und damit die Einheit der Welt ist bedroht. Kirche und Kaiser kämpfen um die Vorherrschaft in Italien, der Konflikt reicht hinein bis in die kleinsten Orte.

Dürfen etwa die Bettelorden, vor einem Jahrhundert erst gegründet, um die korrupte Christenheit im Geist der Armut zu erneuern, die großen Schätze behalten, die sie inzwischen aufgehäuft haben? Vielleicht wenn ihnen aus der Bibel der Nachweis gelingt, dass bereits Christus einen Geldbeutel nicht nur besaß, sondern zum persönlichen Eigentum hatte. Das Studium der kanonischen Schriften bedeutet also mehr als erbauliche Meditation: Zwischen den Deckeln der handgeschriebenen Bände lauern Aufschlüsse, für die es sich lohnt zu streiten und zu töten.

William von Baskerville, ein Franziskaner, in Habitus und Scharfsinn mit zärtlicher Ironie als ein Vorfahr des Sherlock Holmes gezeichnet, begibt sich, begleitet von seinem jungen Gehilfen Adson von Melk in ein Benediktinerkloster im Nordwesten Italiens. Dort soll er ein heikles diplomatisches Treffen vorbereiten helfen. Schnell jedoch findet er sich in ein ganz anderes Mysterium verwickelt: Ein Mörder geht um in der Abtei, jeden Tag fast stirbt ein anderer der Brüder.

Bald schon wird klar, dass all dies mit der drohend verschlossenen Bibliothek zu tun hat, dem monumentalen Zentralgebäude des Klosters. "Seine Südflanke ragte hoch über das Plateau der Abtei, während die Nordmauern unmittelbar aus dem Berghang zu wachsen schienen gleich schräg im Felsen verwurzelten Bäumen. Von unten gesehen schien es geradezu, als verlängerte sich der Felsen zum Himmel, um in einer gewissen Höhe, ohne sichtbaren Wandel in Färbung und Stoff, zum mächtigen Turm zu werden - ein Werk von Riesenhand, geschaffen in größter Vertrautheit mit Himmel und Erde." So stellt sich der Bücherspeicher dar als das kosmologische Symbol seines Zeitalters.

Um ein bestimmtes Buch muss es gehen, ein Buch wie tausend Skorpione - doch um welches, und wer ist es, der es so grausam verteidigt? All dies wird natürlich in der Muttersprache Europas und des Geistes verhandelt, in der sich die Akteure aus England, Deutschland, Spanien, Italien sofort verstehen, auf Latein. (Keine Angst, es gibt einen ausführlichen Kommentar.) Nebenher erfährt der Leser ungeheuer viel über Buchmalerei und Theologie und das allegorische Wesen der Edelsteine. Gab es im 14. Jahrhundert schon Brillen?

Historische Romane gelten ja sonst oft als langweilig und frei fabuliert: Dieser jedoch ist das Resultat profunder Kenntnis und mit höchster Spannung konstruiert, bis zur letzten Seite. Und was hat es mit dem Titel auf sich? Am Ende schreibt Adson von Melk, nun selbst schon ein alter Mönch, an seinem Pult, mit schmerzendem Daumen, das große Erlebnis seiner Jugend schreibt: Die Rose von einst steht nur noch als Name, nichts als nackte Namen halten wir fest. Darauf sich selbst einen Reim zu machen ist nach 700 Seiten Mittelalter-Kurs jeder Leser eingeladen! (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.3.2004)