Frédéric Beigbeder
Windows on the World
Aus dem Französischen von Brigitte Große
€22,70
354 Seiten
Ullstein Verlag, Berlin, 2004.

Dass Literatur nicht ausschließlich das Gute, Wahre und Schöne verhandeln muss, dürfte sich spätestens seit dem schriftstellerischen Schaffen von Dieter Bohlen auch bei jenen herumgesprochen haben, die sonst gar nicht lesen. Und in einer Gesellschaft, in der "Gutmensch" ein gängiges Schimpfwort und "Geiz ist geil!" ein anerkanntes Motto zur Gewinnmaximierung darstellt - was mitunter zu Rekordgewinnen bei gleichzeitigen Massenentlassungen führt -, wird uns dies alltäglich in den Medien vorgeführt.

Insofern rumort das Wirken des französischen Autors Frédéric Beigbeder zwar nur als Hühnerfurz unter den Buchdeckeln des gebundenen Wortes. Immerhin vermag sein Kollege Michel Houellebecq mit offensiven Zynismen und platter Selbstbeweihräucherung der eigenen Schlechtigkeit ungleich mehr Feuerzauber im Geschäft zu veranstalten. Nach seinem Durchbruch mit dem Roman Neununddreißigneunzig, einer geschwätzigen Innenansicht aus dem Werbebusiness, hat der ehemalige Werbetexter Beigbeder allerdings nicht nur sein einträgliches Schaffen darauf angelegt, mit unerheblichen Büchern wie Memoiren eines Sohnes aus schlechtem Hause oder Ferien im Koma zumindest in Frankreich zur Skandalnudel mit eigener Fernseh-Show aufzusteigen. Dank persönlicher und literarischer Vorlieben für Sex & Drugs & Spekulation und dank durchaus verzichtenswerter "künstlerischer" Tabubrüche hat sich der Berater einer intellektuellen Pariser Pornozeitschrift namens Bordel, für die etwa auch Houellebecq oder Cathérine Millet oder Christine Angot schreiben, nach den diversen, oben erwähnten Vorarbeiten dieses Mal aber einen besonders großen Brocken vorgenommen.

9/11 und die Zerstörung des New Yorker World Trade Center stehen auf dem Programm. Inklusive plastisch geschilderter, verbrennender, sterbender Menschen und verkohlter Leichen - sowie dem angesichts des Todes zum allerletzten Mal ausgeübten Ehebruch mit Faustfick und Analsex in einem von den Sprenkleranlagen gefluteten Büro hoch über der Stadt. So weit, so spekulativ, so widerlich. Die Selbstinszenierung eines Schriftstellers als deklarierter Schuft, dem vor gar nichts graust (aber wo gehobelt wird, dort fallen eben auch Tantiemenschecks), sie mag in der Literatur nichts Neues sein.

Völlig indiskutabel wird allerdings der von Rowohlt abgelehnte und nun eilig bei Ullstein im Deutschen veröffentlichte Roman durch seine Parallelschaltung von Fiktion und autobiografischer Überhöhung der eigenen Kaputtheit. 2801 Tote im World Trade Center als islamistische Strategie verkaufen zu wollen, die mit der Zerstörung dieses kapitalistischen Symbols auch gleichzeitig "die sexuelle Freiheit des Westens ausrotten" soll, ist angesichts des hier über hunderte Seiten gebotenen Geschwätzes nichts weniger als eine obszöne Schweinerei.

Zwischen den zeitlich datierten Kapiteln 8:30 und 10:29 montiert hier Beigbeder reichlich platt in insgesamt - Achtung! - 119 so genannten Echtzeiteinheiten die letzten Stunden des fiktiven US-Millionärs Carthew Yorston und seiner beiden Söhne. Die sitzen hier im obersten Stockwerk des Nordturms des World Trade Center im Restaurant Windows on the World und nehmen in den Kapiteln mit ungeraden Uhrzahlen vor ihrem Todeskampf ein letztes Frühstück zu sich.

Die geraden Zeiten sind einem zwischen New York und Paris und edlen Lokalen flanierenden 40-jährigen Schriftsteller vorbehalten, der reichlich pubertär-manisch wie pubertär-weinerlich sein Leben betrachtet und darüber sinniert, wie man nicht nur zu einem neuen Roman, sondern unter anderem auch zu Muschi kommt, wenn man kein Escort-Service bemühen will. Gegen Ende folgt eine mehrere Seiten lange Selbstanklage Beigbeders: "Ich klage mich an, karrieregeil und käuflich zu sein . . ." Spätestens hier rüttelt die Literatur an ihrem Watschenbaum. (Von Christian Schachinger/DER STANDARD, ALBUM Printausgabe vom 27./28.3.2004)