Ron Sexsmith
Retriever
(V2/Edel)
Ab 3. Mai

Foto: V2/Edel

Nicolai Dunger
Here's My Song ...
(Virgin)

Foto: Virgin
Zwei Songwriter, zwei Weltplatten. Der Kanadier Ron Sexsmith und sein schwedischer Kollege Nicolai Dunger mit neuen Veröffentlichungen im Genre intelligent-emotionaler Schwerenöter.


Nimmt man ein Album von Ron Sexsmith zur Hand, macht einen das traurig. Betrachtet man nämlich das Cover, entfährt einem jedes Mal: Dieser arme, arme Mann! Umschreiben wir es so: Als der Kanadier das Licht der Welt erblickte, muss Mutter Natur einen besonders schlechten, ja einen richtig boshaften Tag gehabt haben. So weit, so oberflächlich.

Retriever, das neue Album des Mannes mit dem Regentaggesicht und der nach vorne verrutschten Beatles-Fan-Frisur ist diesbezüglich keine Ausnahme. Doch während frühere Werke die einen befallende Melancholie musikalisch adäquat in meist todtrauriges Balladenwerk übersetzten, zieht Sexsmith auf seinem neuen Album die Geschwindigkeit an und wirkt, als befände er sich in einem mentalen Hoch. Bereits zu Beginn gesteht er: "I'm a bit run down, but I'm ok." Dazu beserlt das Schlagzeug, die Akustische wird leger geschlagen, während als Gastmusiker der große Ed Harcourt den Tasten seines Fender Rhodes die Seele des Songs entlockt. Sanft, aber bestimmt. Das bleibt so. Harcourt wechselt in Folge ans Piano, um Sexsmiths exzellenten Folkrock von dort zu unterstützen. Hätte der früh verstorbene britische Folkie Nick Drake Punk noch erlebt und sich in seiner bettlägrigen Art daran versucht, es wäre Ron Sexsmith herausgekommen. Sexsmith gilt mit seiner einfühlsamen, intelligenten Prosa als Liebling bei Kritikern und Kollegen: Von U 2's Bono bis zur Popband Coldplay ist man sich einig: Der Mann weiß gar nicht, wie man einen schlechten Song schreibt. Ausgleichende Gerechtigkeit gewissermaßen. Von solch Einschätzung kann der gut leben. Bedeutet das doch, dass er häufig, sogar von weit hergeholt wirkenden Künstlern wie Rod Stewart, wahrgenommen und gecovert wird. Das bringt ebenso Kohle, wie der Umstand, dass Sexsmiths Songs mittlerweile auf etlichen Soundtracks Verwendung fanden.

Auf Retriever, im vorigen Sommer überwiegend in London eingespielt, erfreut Sexsmith nun jene Fans, die sich von ihm endlich auch einmal eine "fröhliche" Platter erhofften - und zwar ohne sich zu verbiegen. Das Ergebnis: Ronald Eldon Sexsmith war nie so gut. Trotzdem oder deshalb wachsen - wie auf seinen bisherigen Alben auch - seine Songs mit der Zeit. Sie öffnen kleine Nischen, bieten kleine Überraschungen, entwickeln nachgerade ein Eigenleben. Mit dem Stück Whatever It Takes verneigt sich Ron schließlich sogar vor dem Soulbarden Bill Withers. Das passt ebenso ins Bild wie das darauf folgende, in seinem Rhythmus an den Gang eines müden Pferds erinnernde Dandelion Wine. Wie der Rest des Albums - zum Niederknien.

Ein anderer, nicht weniger begnadeter Songwriter hat mit Here's My Song, You Can Have It . . . I Don't Want It Anymore/ Yours 4ever ein ebenso wunderbares Album veröffentlicht: Nicolai Dunger. Was dem Titel entsprechend wie eine lästige Pflichtaufgabe klingt, die endlich erledigt ist, erweist sich als leidenschaftliche Songsammlung. Der Schwede, der zuletzt zusammen mit Will Oldham das somnambul-countryeske Meisterwerk Tranquil Isolation veröffentlicht hat, besticht hier ebenfalls mit Up-Tempo-Stücken, die nicht nur im Gesang, sondern auch wegen der teils lakonischen Texte an den großen Loudon Wainwright III. erinnern.

Auch Dunger lässt in den ruhigeren Stücken beserln, während das Piano seine Noten behutsam und nur tröpfchenweise absondert. Kommt er jedoch in Fahrt, jubilieren Pedal-Steel-Guitar sowie Mandoline, und die Klaviertastatur erlebt ein Beben mittlerer Stärke. Kein Zweifel: Seinen Bob Dylan hat Dunger ebenso verinnerlicht wie Country-Rock von Neil Young zur Zeit von Alben wie American Stars'n'Bars oder Time Fades Away. Einzig die Patina solcher Referenzen fehlt Dungers Alben. Noch. Da hilft auch das Mitwirken von Jonathan Donahue von den meisterlichen US-Psychedelic-Rockern Mercury Rev nichts. Aber: Gut Ding braucht Weile. Und solche Alben versüßen einem das Warten ohnehin. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2004)