Maria Ziegelböck lebt jetzt in Paris. Nicht, weil sich dort gerade im Frühling ein trefflich Dasein führen lässt. Auch nicht, weil es sich für Fotografen schicken mag, wie es die Lebensläufe unzähliger Spitzenkollegen Ziegelböcks glauben machen. Nein, es war eher Zufall, gepaart mit dem Gefühl eines Mangels an Neuem. Paris soll diesen Mangel beheben. Die Fotografin mag nämlich Veränderungen, "das gibt neue Eindrücke", sagt sie. Darum kellnerte sie zum Beispiel auch für zwei Jahre im Wiener Club Flex.


John Malkovich in "L´Officiel" (2002)

In Paris beschäftigt sich die 31-Jährige hauptsächlich mit dem, womit sie vor 13 Jahren angefangen hat - mit Porträts. Wenn man's allerdings genau nimmt, begann die Geschichte mit Maria Ziegelböcks Fotos ungefähr vor 100 Jahren, als ihr Urgroßvater in Haag am Hausruck ein Fotostudio gründete. Maria und ihre Schwester, die jetzt das Studio in Oberösterreich führt, sind Fotografen in vierter Generation. Die Fotografie war also, wie Ziegelböck nickend bejaht, auf gewisse Weise genealogisch programmiert. Zu den Genen kamen eine Lehre bei der Frau Mama, der Besuch Friedl Kubelkas Schule für künstlerische Photographie, zwei Jahre Assistenz bei Elfie Semotan und eine Menge Gesichter, die Maria Ziegelböck durch ihr Objektiv studierte und die nach wie vor die begehrtesten Motive vor ihrer Linse sind. Obwohl - thematisch will sie sich nicht einzäunen lassen: Mode, Werbung, Reisen, Architektur - solange die Fotografin ihren ganz eigenen Blick werfen darf, ist's gut, denn wie bei ihrem Hauptthema, dem Porträt, geht es ihr um das Erkennen des Wesens. Wie aber erkennt man das Wesentliche? Und, wenn man es erkennt, wie bringt man es dann auf's Papier?


Modeshooting für "Glamour" (2003)

Der französische Philosoph Roland Barthes meinte in seinem Büchlein "Die helle Kammer": "Das photographische Porträt ist ein geschlossenes Kräftefeld. Vier imaginäre Größen überschneiden sich hier, stoßen aufeinander, verformen sich. Vor dem Objektiv bin ich zugleich der, für den ich mich halte, der, für den ich gehalten werden möchte, der, für den der Photograph mich hält, und der, dessen er sich bedient, um sein Können vorzuzeigen. In anderen Worten, ein bizarrer Vorgang; . . ." Diesbezüglich gibt Maria Ziegelböck Roland Barthes Recht. Und sie weiß, wie man Licht in diese Verformung bringt. "Das ist so ein Gefühl, das man manchmal schon beim Abdrücken hat, gelegentlich erkennt man es auch erst auf dem Print.


Burschen der Freiwilligen Feuerwehr Tamsweg, erschienen im Pariser Magazin "Blast"

Zufälle spielen mitunter eine Rolle, und Ruhe." Vom Vertrauen zwischen ihr und den Abzubildenden ganz zu schweigen, erklärt sie. "Ich produziere schnell und viel, darum mag ich Magazine in ihrer Kurzlebigkeit, auch sehe ich meine Arbeit nicht als Kunst, die Generationen überdauert", meint sie. Am liebsten fotografiert Maria Ziegelböck, die unter anderem im Auftrag der Drogeriemarktkette DM oder des Wiener Museumsquartiers am Drücker ist, Menschen, die sie kennt, und Menschen, die sie gern hat. Ob sie John Malkovich gern hat? "Ui, da war ich in erster Linie nervös", erzählt sie vom Shooting mit dem Filmstar.

Die Fotografin sieht ihre Arbeit auf gewisse Art in der Tradition alter Porträtmaler. Ziegelböck geht's handwerklich an. Wenn sie fotografiert, ist das ein stiller Prozess in einer möglichst ruhigen Umgebung. Sie wieselt nicht im Studio umher, ihre Mamiya RZ 67 ruht in der Regel auf einem Stativ, Ziegelböck spricht weiters von Millimeterarbeit und genauen Instruktionen. In Sachen Technik meint sie, diese sei dann gut, wenn man sie wieder vergessen kann, nachdem man sie beherrscht.

Ihr Zugang zur Fotografie bleibt ein intuitiver, Intellekt und Theorie wertet sie während des eigentlichen Fotografierens eher als Hemmnis. Ihre Arbeit ist ein intimer Akt zwischen ihr, dem Modell und der Kamera, die sie als eine Art dritte Person bezeichnet. Gedacht wird nur ans Licht, alle anderen Gedanken werden zu Blicken, erklärt sie. Das Schönste, was ihr von einem Modell zu Ohren kommen kann, ist, dass es sich auf ihren Fotos wiedererkennt und sein Wesen sichtbar, also fühlbar wird. "Das geht weit über das bloße Abbild eines Gesichts hinaus", setzt sie nach.

So ein Erkennender ist zum Beispiel ihr Pariser Nachbar Martial. Schaut man besonders tief ins rechte Auge seines Porträtfotos, erkennt der Betrachter klitzeklein die Spiegelung des Ausblicks aus Ziegelböcks Wohnung, also ein winziges Fleckerl Paris. Das hat zwar wenig mit dem Wesen Monsieur Martials zu tun, aber Maria freut's trotzdem. "Je offener man an eine Geschichte herangeht, desto mehr Zufälle können passieren", meint sie.

Was die Karriere betrifft, schwimmt Maria Ziegelböck gegen einen wurlenden Strom. Es geht ihr nicht um das Einsammeln von Großaufträgen. Die Fotografin will sich mit ihrer Arbeit einen Lebensstil erhalten, der ihr Freiheit lässt. Gleich einem Manifest formuliert sie: "Ich verweigere persönliches Wirtschaftswachstum. Im Endeffekt komm' ich nur so meiner Arbeit und dem Wesentlichen näher". Auf die Frage nach ihrem Traumjob reagiert sie mit großen Augen, in denen sich ein kleines Stückerl ihres Wien-Standbeins im 2. Bezirk spiegelt. "Meinen Traumjob, den hab' ich ja", sagt sie.


Maria Ziegelböck, fotografiert von Luis Boehler

Steckbrief

Das Gerät, vor dessen 110-mm-Objektiv Maria Ziegelböck ihre Modelle bittet, ist eine Mamiya RZ 67, 6 x 7 cm Mittelformatkamera. Für das Objektiv hat sie sich entschieden, weil es die "ehrlichste" Distanz zwischen Kamera und Modell schafft, d. h. die Größe des Abgebildeten entspricht in etwa der Blickdistanz. Wenn kein Stativ zur Hand ist, etwa auf Reisen, steigt die Fotografin auf eine Mamiya M 7 um. Für Recherchezwecke, zum Beispiel Location-Suche greift Ziegelböck zur Digital-Kamera Olympus G 5 Powershot oder einer Olympus µ-mju.
Fotos: Maria Ziegelböck, Info: mz(DERSTANDARD/rondo/Michael Hausenblas/30/04/04)