Straßburg - Mit einer Sondersitzung in Anwesenheit der Parlamentspräsidenten und EU-Botschafter aus den 25 EU-Staaten wird das Europaparlament ab Montag die bisher größte Erweiterung der EU feiern. Dazu wird auch der Gründer der polnischen Gewerkschaft Solidarnosc (Solidarität), der Friedensnobelpreisträger und frühere polnische Präsident Lech Walesa erwartet. Zum Auftakt der Zeremonie sollen nach Auskunft der Parlamentsverwaltung Soldaten des Eurokorps die Flaggen der neuen Mitgliedsländer hissen. Die zusätzlichen Masten wurden von der Danziger Werft hergestellt, wo der Streik der Solidarnosc die friedliche Revolution im kommunistischen Ostblock eingeläutet hatte.

Im Mittelpunkt der dreitägigen Sitzung stehen Debatten über die Zukunft der erweiterten EU. Am Mittwoch sollen die Abgeordneten über die Ernennung der zehn neuen Kommissare und Vertreter der Beitrittsländer im Europäischen Rechungshof votieren. Diese Abstimmungen gelten als Formsache: Das Straßburger Parlament hat nämlich keine Möglichkeit, einzelne Kommissare oder Mitglieder des Rechnungshofs abzulehnen. Richtlinien oder Verordnungen werden während der Mai-Sitzung nicht zur Abstimmung anstehen, da der erweiterte Ministerrat seine gesetzgeberische Arbeit noch nicht aufgenommen hat.

788 Abgeordnete

Zur feierlichen Sitzung werden 788 Euro-Abgeordnete erwartet - 626 aus den alten und 162 aus den neuen EU-Staaten. Bei den Vertretern aus den acht mittel- und osteuropäischen Ländern sowie Zyperns und Maltas, die am 1. Mai der EU beitreten, handelt es sich um Delegierte der nationalen Parlamente, die bisher als Beobachter an den Arbeiten des Europaparlaments teilnahmen. Sie werden während der Mai-Sitzung erstmals ein Stimmrecht haben. Damit sie dies auch ausüben können, musste die elektronische Abstimmungsanlage im Straßburger Plenarsaal erweitert werden. Zusätzliche Dolmetscherkabinen und Kanäle sollen sicherstellen, dass die Übersetzung in die nun 21 Amtssprachen klappt.

Nach der Europawahl im Juni wird die Zahl der Euro-Abgeordneten auf 732 reduziert, wie es Ende 2000 im Vertrag von Nizza vereinbart wurde. Dazu werden die Delegationen der alten EU-Staaten verkleinert - mit Ausnahme der deutschen und luxemburgischen, die weiter 99 beziehungsweise sechs Abgeordnete umfassen wird.

Bereits am Dienstag muss sich die neue EU-Kommission einem Misstrauensvotum im Europaparlament stellen stellen. 65 Abgeordnete kritisieren darin die Haltung der Brüsseler Behörde in der Affäre um außerbudgetäre Zahlungen im EU-Statistikamt Eurostat. Zu den ursprünglichen Unterstützern gehörte auch Hans Peter Martin. Dem Antrag wird aber keine Chance auf Erfolg eingeräumt. Um die Kommission zum Rücktritt zu zwingen, bedarf es der Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen und der Mehrheit der Mitglieder des Parlaments.

Der von dem parteifreien österreichischen Abgeordneten Hans Peter Martin zum Wahlkampfthema gemachte Streit um die Spesenabrechnung wird das EU-Parlament ebenfalls beschäftigen. Parlamentspräsident Pat Cox drängt nun auf eine Rückerstattung der tatsächlichen Reisekosten der EU-Abgeordneten anstelle der bisher geltenden Pauschalvergütung. Zur Sprache wird das Thema voraussichtlich am Mittwoch bei einem Treffen der Fraktionschefs kommen, wie Parlamentssprecher David Harley am Freitag ankündigte. Anders als die ebenfalls umstrittene Diätenregelung für die Abgeordneten, die von den Regierungen der EU-Staaten beschlossen werden muss, kann eine Änderung des Spesensystems vom EU-Parlament selbst entschieden werden. (APA)