Ganz, sagte G., habe er das ja nicht durchschaut. Aber mittlerweile, meinte er und nippte an seinem Café, während sich auf der anderen Straßenseite zwei Radfahrer um das letzte freie Verkehrsschild stritten, habe er beinahe aufgegeben zu versuchen, zu verstehen, wieso das so sei. Wien, sagte G – und sah dabei eher erschöpft als deprimiert aus -, sei eben wirklich anders. Anders jedenfalls als die Steiermark. Und der große Rest von Österreich. Das Treffen mit mir, sagte G., sei sein letzte Versuch, das Mysterium zu ergründen.

G. baut Fahrradständer. Und ist ziemlich stolz auf jene Abstellanlagen, die er in den letzten Jahren an vielen Bahnhöfen (österreichweit) und seit dem Winter an den einstigen Viennabike-Gratisentnahmestationen (etwa 140 Mal in Wien) aufgestellt hat. Wenn man ihn lässt – oder nicht rechtzeitig abwürgt – kann G. locker eine halbe Stunde über die Vorzüge seiner Abstellanlagen gegenüber anderen Systemen referieren. Das ist ermüdend. Aber immerhin verstehe ich bei G.s Schwärmerei – im Gegensatz zu Netzwerktechnikern, Autotunern oder Literaturkritikern –, wovon die Rede ist.

Zwei Vorteile

Kurz gefasst haben G.s Abstellanlagen zwei Vorteile: Sie brauchen pro Rad weniger Platz und sind – da sie nicht einen halben Meter tief einbetoniert, sondern nur per Dübel in den Boden gepflanzt werden, auch an sensiblen Stellen aufstellbar. Unsicherer als Verkehrszeichen, Zäune, grüne oder blaue Bügel, schwört G., sind seine Anlagen aber nicht: Radsicherheit sei schließlich immer das Ergebnis der Funktion aus Schloss durch kriminelle Energie. Dann wäre da noch das, was G. für einen Vorteils einer Anlage hält: Das Rad wird nicht an einem starren, sondern einem beweglichen – gelben ­ Bügel festgemacht. Mit herkömmlichen Schlössern. Oder Spezialschlössern, die es nur bei G. gibt. Was soviel bedeutet, wie: Es gibt sie nicht. Schließlich ist G. kaum in Wien.

Aber all das macht G. wenig Kopfzerbrechen. Was ihn wirklich erstaunt: Sogar dann, wenn ringsum alle Bügel, Schilder, Zäune, Laternen und was auch sonst noch auch nur ansatzweise zur Radbefestigung in Frage kommt, vollgehängt sind, bleiben seine Parkplätze leer. Manchmal hängen sich Vorwitzige an die Außenseite der Stationen. Aber erst an die gelben Schwenkarm traut sich kaum einer.

Gebrauchsanweisung

Anfangs hatte G. geglaubt, das System – Bügel schwenken, Fahrrad festschnallen – überfordere die Wiener. Darum kleben jetzt auf jeder Anlage Gebrauchsanweisungen. Weil das auch nicht half, hat G. bei Radlobbyisten und Radpolitikern Rat gesucht – und kommt seither aus dem Staunen nicht mehr raus: Wiens Radfahrer, habe man ihm erzählt, seien ein durch und durch wertkonservatives Volk. Weil sie mit einem System – den grünen, fest im Boden verankerten Bügeln – vertraut seien, würden sie jedes andere System ablehnen. Mehr noch: So etwas überfordere den Wiener Radler. Schon als in der Stadt vor etlichen Jahren neben den grünen erstmals auch blaue Bügel montiert worden seien, habe es Proteste gehagelt. Ernst gemeinte.

G. glaubte zunächst, man wolle ihn – den Provinzler – rollen. Und so saßen wir dann an einem sonnigen Nachmittag an einer radintensiven Ecke Wiens mit einem prominent platzierten Schwenkbügelradparkplatz – und beobachteten. G. staunte. Sein schöner, moderner praktischer Radparkplatz blieb leer. Einmal stand ich auf und fragte eine Dame, wieso sie lieber an einem Verkehrszeichen als an einem als Radparkplatz ausgewiesenen Ort parke. Die Frau meinte, sie sähe nicht ein wieso sie für das Radabstellen auch noch bezahlen solle – und ging ohne eine Antwort abzuwarten ihres Weges. G. stand der Schweiß auf der Stirn: Woher derlei Unfug komme, sei ihm völlig schleierhaft. Ob das vielleicht aus der generellen Verwirrung rund um die Gratis- und Nichtgratis-Leihräder in Wien stammen könne? Ich bedauerte: Keine Ahnung – aber ich müsse jetzt weiter.

Ohne nachzudenken, ging ich zu dem kleinen Verkehrszeichencluster neben G.s schicker, leerer gelbbebügelter Anlage und mühte mich ab, mein Rad frei zu bekommen, ohne eines der anderen zu beschädigen. Aus dem Gastgarten kam ein Stöhnen: „Du auch?“ Ich tat, als hätte ich nichts gehört. Im Losfahren erhaschte ich noch einen Blick auf G.s Gesicht. Er sah aus, als wolle er gleich weinen.