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Foto: apa/epa/Louisa Gouliamaki
Reden wir zuerst über das Wetter. Über gutes Wetter spricht man besonders dort viel, wo es wenig Sonne gibt. In Griechenland scheint sie an 320 Tagen im Jahr. An 180 Tagen aber scheint sie nicht, sie brennt, und was das bedeutet, dürfte seit vergangenem Sommer auch in Mitteleuropa klar geworden sein. Schatten ist rar, besonders in Athen, wo Bäume Seltenheitswert haben. Packen Sie einen Sonnenschirm in den Koffer ein, krebsrote Haut trägt kein Grieche zur Schau.

Sie sind in Athen angekommen und möchten mit dem Bus, Taxi oder der Metro zur Stadtbesichtigung aufbrechen. Aber welcher Bus hält am Syntagma-Platz? Wie weit ist es zur nächsten Metrostation? Seien Sie vorsichtig mit quantitativen Fragen. Sie werden in der Regel großzügige Antworten erhalten, wenn Sie nach Abfahrtszeit und Jahreszahlen fragen oder nach dem Weg.

Der Unterschied zwischen 23.00 und 23.30 Uhr ist subjektiver Natur und kann durchaus auf null Minuten schrumpfen. Um nachts nicht mutterseelenallein vor den Gleisen der Metro zu stehen, muss man lernen, Informationen großzügig zu deuten. Sie haben sich für den Bus entschieden. Bevor Sie den Tag weiter verplanen, sollten Sie wissen: Wer den Bus nehmen möchte, muss das dem Fahrer unmissverständlich zu verstehen geben, sonst lässt er die Wartenden an der Haltestelle links liegen.

Heben Sie den Arm, als grüßten Sie den Fahrer, oder winken Sie ihm mit dem Sonnenschirm zu. Das bewahrt Sie davor, nach einem der 13.000 Athener Taxis suchen zu müssen. Eine Taxifahrt ist billig, aber Taxis sind schwer zu bekommen. Zur Hauptverkehrszeit halten sie nur selten an. Wedeln Sie mit Händen und Armen, rufen Sie laut "Taaxiii", wenn die gelben Autos vorbeifahren.

Ignorieren Sie die zwei Fahrgäste, die bereits im Auto sitzen. Wenn die Richtung stimmt, nimmt man Sie mit. Notieren Sie sich den Taxameterstand beim Einsteigen und beim Aussteigen, die Differenz ist Ihr Fahrpreis - falls der Fahrer ein ehrlicher Mensch ist. Halten weder Bus noch Taxi, nehmen Sie die Metro. Sie ist übersichtlich und bleibt sogar vor den Toren des Olympiastadions stehen. Es gibt drei Linien, die Orientierung ist einfach. Die Griechen sind ein freundliches Volk. In dem Augenblick, in dem sich die Türen der Metro öffnen, könnte der Besucher allerdings einen anderen Eindruck gewinnen. Wer aussteigen will, drängt heraus, wer einsteigen will, drängt hinein. Einem Gentleman dürfte es schwer fallen, die Metro zu benutzen. Heften Sie sich an die Fersen ihres griechischen Vordermanns, das ermöglicht es Ihnen immer, ein- und auszusteigen.

Gleiches gilt für die Tram, die, falls ein Wunder eintritt, kurz vor den Olympischen Spielen fertig gestellt sein wird. Reiseplanung nach österreichischen Maßstäben macht in Griechenland wenig Sinn. Antizipieren Sie nicht. Befreien Sie sich von zweifelhaften Tugenden. Griechen haben eine durchaus sympathische Verwendung für das Wort avrió, morgen. Sie ergreifen in der Regel jede Chance, den Augenblick zu genießen, und vertagen alles Weitere auf morgen.

Befassen Sie sich also mit dem Hier und Heute. Besuchen Sie das schicke Stadtviertel Kolonaki, wenn Sie Interesse für Dekolletees, Diamanten und üppige Schaufensterauslagen aufbringen. Nehmen Sie einen Frappé im Studentenviertel Exarchia, das manche lieber Anarchia nennen. Schlendern Sie mit der Absicht, absichtslos zu sein, durch das Athener Dreieck, das Omonia, Syntagma und die Plaka bilden. Unterwegs wird man Bilder sehen, die solche Hinterlassenschaften wie die Akropolis mühelos vergessen lassen und die daran erinnern, dass es nicht schon immer in Folie eingeschweißtes Fleisch und spiegelverglaste Shoppingmalls gab.

Ungläubig betrachtet man die Familiengeschäfte mit Stoffballen, Kaninchen, Heiligenbildern, Souvlaki und Zwirn. Man sieht Losverkäufer, Sesamgebäckverkäufer und fliegende Händler mit Handkarren. Bei jedem Schritt wird man Zeuge davon, dass der europäischen Nivellierung zum Trotz kulturelle Unterschiede überlebt haben. Auch wenn die Betreiber des Zentralmarkts sich künftig an europäische Hygienestandards halten und Taxifahrer Quittungen ausstellen wollen.

Wenn die Hitze am späten Nachmittag ihren Höhepunkt erreicht und die Menschen ihre Arbeit beenden, füllen sich die Strände Athens. Machen Sie es wie Kommissar Kostas Charitos in den Kriminalromanen von Petros Markaris, kaufen Sie einige in Papier eingewickelte Portionen Souflaki. Setzen Sie sich an einen Strand, in Paleo Faliro oder etwa Alimos. Beobachten Sie die Menschen in den Cafés und Tavernenn und Sie werden verstehen, dass der Wellness-Wahn niemals Chancen auf Erfolg in diesem Lande hat. Bei der Paréa, der Gesellschaft von Freunden, stellen sich wohlige Gefühle von ganz alleine ein.

Nie wird man Griechen längere Zeit alleine in einer Bar oder Taverne sitzen sehen. Denn genießen ist nichts, zusammen genießen ist alles. Ein paar Schritte weiter, an der Poseidon-Avenue, die parallel zum Meer verläuft, dort, wo sich jeden Tag ein Häuflein Menschen versammelt, gibt es Einblicke in die landesweite Diskussionsfreude. Spieler und Zuschauer stehen neben hüfthohen Schachfiguren und kommentieren mit 20 Händen das Geschehen auf dem Freiluftschachbrett. Am Strand dahinter spielen Ukrainer Akkordeon, Polen angeln, und Afrikaner verkaufen entlang der Promenaden CDs.

Athen schläft nicht, sagen die Athener. Rüsten Sie sich also für die Nacht, sie ist der wichtigste Teil des Tages. Auf Mopeds und in Autos rasen Menschen aufgeregt durch die Straßen, als gäbe es an den Tankstellen das Benzin nachts umsonst. In Psiri und Gazi und allen anderen Vierteln Athens öffnen Bars, Lokale mit Busukimusik, Nachtklubs. Irgendwann, wenn längst keine Metro mehr fährt und Taxis einen Zuschlag verlangen, geht die Nacht in die Morgendämmerung über. Sie werden auf dem Weg ins Hotel an einem der unzähligen Peripteroi vorbeikommen. Bei dem winzigen Greißler, in dem auf eineinhalb Quadratmetern ein Mensch auf einem Hocker sitzt, gibt es alles, was man um diese Uhrzeit eigentlich nicht kaufen kann. Zigaretten, Zeitungen und Rasierklingen, Aspirin, Kondome, Limonaden, und für alle Frauen, bei denen sich beim Tsifteteli, einem aus Kleinasien stammenden Tanz, eine Laufmasche gelöst hat, gibt es Feinstrümpfe. Wundern Sie sich nicht, wenn das Rückgeld ein paar Cent mehr oder weniger beträgt. Griechen sind keine Erbsenzähler, sie mögen den Gebrauch der neuen Münzen nicht.

In allen Geschäften herrscht chronischer Kleingeldmangel. Sollten einmal zehn Cent beim Bezahlen fehlen, wird man nicht immer auf sie bestehen. Schalten Sie vor dem Schlafengehen den Fernseher im Hotelzimmer ein, die Nachrichten vermitteln einen letzten Überblick. Alle Probleme und Missstände des Landes werden in Konferenzschaltungen, bestehend aus Journalisten, Politikern, Funktionären und Experten, besprochen. Der Bildschirm wird dazu wie ein Adventskalender in kleine Fenster aufgeteilt, aus denen die Beteiligten ihre Position gestikulierend darlegen. Je nach Thema beträgt die Anzahl der gleichzeitig aus ihren Fenstern sprechenden Beteiligten sechs bis neun.

Nehmen Sie einen letzten Schluck mazedonischen Rapsani. Ein Tag in Athen ist kein Spaziergang im Park. Man fühlt sich wie nach einem erfolgreichen Training, müde und zufrieden - als hätte man ein olympisches Quantum Kniebeugen absolviert. (DER STANDARD, rondo/14/05/2004)