Natürlich ist man es gewohnt, Kritik an den alltäglichen Verständigungsverhältnissen zu üben - und zu goutieren. Die zeitgenössische Medienkritik holt bevorzugt Sender-Empfänger-Modelle aus der Mottenkiste, wenn es gilt, den Anreiz zu ausschweifendem Konsumverhalten etwa in der Dauerberieselung durch mediale Einflüsterer zu erkennen.

Doch dass zwei oder mehr Menschen aus Anlass eines freiwillig angebahnten Meinungsaustauschs einander aufrichtig missverstehen könnten; dass sie bereit sind, das Kreuz der Verfehlung sozusagen aus freien, heiteren Stücken zu tragen, in einer Art von wilder, bibbernder Begeisterung - diese Annahme bildet den dunklen Fleck in einer Medien- und Sprachkritik, die längst dazu übergegangen ist, das Funktionieren von Kommunikation stillschweigend vorauszusetzen.

Der Wiener-Gruppe-Dichter Konrad Bayer (1932-1964) hätte den Verfechtern der "kommunikativen Vernunft" wahrscheinlich ein herzliches, wienerisch gefärbtes "Na und?" zugerufen. Sein zu Beginn der 60er-Jahre entstandenes, naturgemäß unvollendet gebliebenes Opus summum der sechste sinn enthält die traurigste und zugleich schönste Apotheose eines als notwendig verstandenen Scheiterns: ",la la la', sang goldenberg. ,bla bla bla', antwortete braunschweiger. hierauf waren beide, braunschweiger und goldenberg, minutenlang glücklich." Es fällt unter den skizzierten Umständen zunächst schwer, den Grund für so viel eitel Wonne zu erblicken. Richtet man die Aufmerksamkeit auf den assonierenden Zusammenklang von "la" und "bla", so könnte man vorsichtig von einem Gleichklang - der Herzen oder der Absichten, die den beiderseits getroffenen Aussagen zugrunde liegen - sprechen.

Allerdings fällt bei genauerem Hinsehen auf, dass die gewählten Verständigungsmodi unterschiedlicher nicht sein könnten. Da der eine singt, der andere schwätzt, unterlaufen beide in je eigener Weise die stillschweigende Übereinkunft, dass, wer sich an ein Gegenüber richtet, von diesem auch anerkannt und daher in befriedigendem Ausmaß verstanden werden will. "Verstanden" haben die beiden einander freilich wohl: Das beiderseitige Sprachverhalten könnte auf einen Zustand der Kumpanei, des finster verschworenen Einverständnisses hinweisen.

Und es stützt die Binsenweisheit, dass jeder Empfänger einer Botschaft diese auch auffasst. Anders gesagt: Was immer im Einzelnen schief läuft - irgendetwas versteht der Hörer immer. Auch wenn er dann, als wenig wohlwollender Interpret seines Gegenübers, vielleicht das Vogelzeichen macht. Um zu verstehen, was Konrad Bayer in und mit seinen frappierenden Texten gemeint haben könnte, verweist man gerne auf die Heldenlegenden, die sich um diesen "Dandy" ranken. Der H. C.-Artmann-Freund war armer Leute Kind, gab das letzte Geld für einen gestärkten Hemdkragen her - und kultivierte jene Eigenschaften eines "selbstbestimmten" Lebens, das in den erstickenden Wiederaufbau-Jahren zu seiner Entfaltung auf Enklaven und elitäre Zirkel im Nebenhalt der Gesellschaft angewiesen war.

Es mag auch diesen prekären Umständen geschuldet sein, dass Bayer, der 1964 den Freitod wählte, in seinen methodisch anspruchsvollen Texten sich und sein Schreiben ganz aufs Spiel setzt.

Bayer-Texte, darunter der Traktat der stein der weisen und der bereits genannte Romansteinbruch der sechste sinn, bearbeiten nicht etwa Themen - sie nehmen es ohne Umschweife mit der ganzen unübersichtlichen Welt auf.

Es fällt auf Anhieb gar nicht leicht, Bayers Themenstellungen in ihrer Triftigkeit ins Heute zu übersetzen: Der Gedanke, dass die Welt, so wie wir sie als sprachlich verfasste wahrnehmen, sozusagen auf nichts als unserer Vorstellung basiert, die wir uns von ihr machen, berührt aber allenthalben die ins Kraut schießenden Simulationstheorien, mit denen die Kulturindustrie ihr latent schlechtes Gewissen beruhigt. So scheint Bayer, trotz der frappierenden Modernität seiner Arbeiten, mit einem Fuß noch fest im 19. Jahrhundert verankert. Verständigung, regt Bayer an, wäre dann erfolgreich, wenn ihr Begriff eine Vorstellung von selbstbestimmtem Handeln mit einschließt, in dem Souveränität und Schönheit zusammenfallen. Von dieser Schönheit bleibt ein Abglanz nur: Bayers (bei Rowohlt verlegtes) Werk. (DER STANDARD, Printausgabe, 13.5.2004)