Aktivisten auf gesellschaftlichem Kollisionskurs: Hans Weingartners "Die fetten Jahre sind vorbei".

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Rezeptionistin auf dem Pfad des Unheimlichen: Franziska Weisz in "Hotel" von Jessica Hausner.

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Eine weitere heimische Hoffnung: Jessica Hausners "Hotel".


Da ein US-Pavillon im Sonnenschein, dort ein Bungalow für die Franzosen, Fahnen und Wimpel allerorten: Wer will denn hier nicht patriotisch werden? In Cannes, wo einerseits alle gern Slogans über den "internationalen Markt" und zum Beispiel von kommenden europäischen Koproduktionen vor sich her tragen, will das andererseits jeder:

Schon wieder, nach Michael Hanekes Erfolgen, ein österreichischer Palmen-Anwärter, jubeln die Österreicher über Hans Weingartners Die fetten Jahre sind vorbei. Endlich, elf Jahre nach Wim Wenders' Far away, so close, wieder ein deutscher Wettbewerbsbeitrag: So beanspruchen die deutschen Medien denselben Film für sich.

Faktum ist: Hans Weingartner, 32 Jahre jung und aus Vorarlberg stammend, Mediziner und erst später ausgebildeter Filmemacher, ist den Österreichern als mögliche neue Galionsfigur quasi "passiert": In Deutschland hat er seine Ausbildung erhalten, in Deutschland wurde er mit den ersten Fördergeldern bedacht, in Deutschland wurde man auf sein Langfilmdebüt Das weiße Rauschen (2001) zuerst aufmerksam, und seit diesem Film gilt Weingartner ebendort auch als Entdecker des neuen deutschen Stars Daniel Brühl, der zuletzt in Goodbye, Lenin durchstartete.

Kurz: Österreich hat sich de facto mit Weingartner und seiner Arbeit noch nicht so richtig angefreundet, wohl auch, weil er sich nie auf heimische Freunderlwirtschaften und Schulterschlüsse eingelassen hat. Immerhin fungierte die heimische Produktionsfirma Coop 99 mit Minimalanteilen als Koproduzent von Die fetten Jahre sind vorbei.

Gut möglich, dass jetzt dann also dennoch alle sagen, dass für uns die "fetten Jahre" wieder einmal voll im Kommen sind, denn: Gedreht mit nervöser digitaler Handkamera, die sich voll auf das beherzte Spiel der jungen Darsteller (Stipe Erceg, Julia Jentsch und wieder Daniel Brühl) einlässt, gehört Weingartners Film in der Tat zu den beachtenswerten Arbeiten dieses Festivals.

Kollision der Konzepte

Unter Berufung auf sein eigenes Engagement in der Antiglobalisierungsbewegung der letzten Jahre hat der Regisseur und Autor einen erstaunlich lichten, vitalen Film über gesellschaftliche Sackgassen gedreht: Das Protagonisten-Trio, zuerst in Formen gewaltlosen Widerstands tätig, nimmt mehr oder weniger unfreiwillig einen reichen Geschäftsmann (Burghart Klaussner) als Geisel. In der darauf einsetzenden Abfolge gegenseitiger Belagerungen (auch Liebe und Eifersucht kommen verstärkt ins Spiel) kollidieren die Wertvorstellungen. Und es ist ganz schön, dass Hans Weingartner dabei kaum jemals in papierene Idealismus-Beschwörungen verfällt. Respekt!

Österreichs zweiter Beitrag an der Croisette, ebenfalls von Coop 99 produziert: Hotel, der zweite Langfilm der in Cannes bereits mit Lovely Rita erfolgreichen Jessica Hausner, lief in der offiziellen Auswahl der Reihe "Un Certain Regard". Hotel, als Gruselfilm ohne Schockeffekte und ohne Blutbad konzipiert, wird in all seiner Konstruiertheit auf Dauer leider wirklich ziemlich blutleer, um nicht zu sagen: etwas nervig statt nervenzerfetzend.

Franziska Weisz als Rezeptionistin eines Waldhotels irrt wie eine blondierte Untote durch eine Handlung, zu der Hausner dem Vernehmen nach durch deutsche Märchen inspiriert wurde. Weil: Eine Waldhexe wurde vor Jahrhunderten in der Nähe verbrannt, und jetzt riecht es im Zimmer manchmal komisch, ein Halskettchen verschwindet, Türen fallen zu, oder die Liftmusik hat Aussetzer.

Und: Rezeptionistinnen verschwinden auf eigentümlich gelangweilte Art! Aber vielleicht ist Hotel doch sehr, sehr spannend - für Zuseher, die kaum jemals in Gespensterfilme gehen oder zumindest Stanley Kubricks The Shining noch nicht gesehen haben. Schade um eine vergebene Chance: So oft wagt sich ja das heimische Kino auch wieder nicht auf Pfade des Unheimlichen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2004)