"Positives" - eigentümlich ins Glück verschobene Erinnerungen und Anspielungen an Vietnam auf einem Foto des polnischen Künstlers Zbigniew Libera.

Foto: ZKM

... – eine außerordentlich sehenswerte Ausstellung, bis 26. Juni in den Berliner "Kunst Werken".

Tanja Ostojic aus Usice sucht einen Ehemann. Er sollte unbedingt aus der EU sein. Der Reisepass macht ihn erst attraktiv. Umgekehrt muss er nicht die Katze im Sack kaufen – Tanja präsentiert sich auf einem Foto frontal, nackt, vollständig rasiert und mit Kontaktadresse: Hottanja hat ihren Account bei Hotmail. Ihren Beruf hat sie nicht angegeben.

Tanja Ostojic ist Künstlerin. Ihre Aktion ist Teil der Ausstellung Privatisierungen in den Berliner Kunst Werken. Kuratiert vom Kulturtheoretiker und Philosophen Boris Groys, präsentiert sie zeitgenössische Kunst aus Osteuropa im Zusammenhang eines größeren Projekts, The Post-Communist Condition, am ZKM Karlsruhe.

Vier Jahre nach der großen Schau After the Wall im Hamburger Bahnhof blickt Berlin also, pünktlich zur EU-Erweiterung, wieder nach Osten. Der Befund hat sich nicht wesentlich verändert, denn Europa hat auch als erweiterte Union mindestens zwei Geschwindigkeiten.

Die Arbeiten in den Kunst Werken tendieren zu einem manchmal drastischen Abbildungsrealismus. Die bekannten großformatigen Fotografien von Boris Mikhailov zeigen die postkommunistische Befindlichkeit als Verwahrlosung an Land und Leuten: ärmliche Frauen, trinkende Männer, aufreizend gekleidete Mädchen an Bushaltestellen und Markttagen. Auf ähnliche Weise betont Dmitrij Gutov in seinem voyeuristischen Video Moscow Summer die sexuellen Reize als ein letztes Kapital, während Olga Chernysheva die Menschen dort filmt, wo sie sich unbeobachtet glauben – beim Zeitunglesen im Pendlerzug etwa.

Das Private erweist sich in der nachkommunistischen Gesellschaft als das Verdrängte. Es kehrt zurück auf eine Weise, die peinlich berührt. Die (künftige) Zivilgesellschaft sieht sich auf ihre Ursprünge zurückgeworfen, auf jene Vollzüge, auf die der Staat keinen Zugriff hatte: das Trinken, das Schimpfen, den Geschlechtsakt. Der Pole Artur Zmijewski hält den nackten Körper in Ehren: Das Video An Eye for an Eye zeigt zwei Männer, von denen einer nur ein Bein hat, in einer Mischung aus Hilfe- und Liebesstellungen. Eine Stellwand weiter exerziert eine Gruppe von Soldaten nackt und singt dazu, sie sei "zu allem bereit".

Erben des Gulag

Die Russin Svetlana Baskova zeigt in Kleiner grüner Elefant zwei blutverschmierte Männer in einem Ringkampf. Der Kasache Vladimir Tyulkin filmte in Experimentum Crucis den Gefängnisalltag von Jugendlichen, die – mit ihren geschorenen Köpfen in einer Choreografie der Unterwerfung – wie die Erben des Gulag wirken. Unter den Filmemachern, die Boris Groys ausgewählt hat, ist Evgenij Jufit aber der interessanteste.

In Silberköpfe verweist er auf parareligiöse Selbstexperimente und auf die Tradition des "mad scientist" im westlichen B-Film. Seit 1984 macht Jufit Filme in der Tradition des Nekrorealismus, die viel versprechende Titel tragen wie Suizid-Wildschweine oder Werwolfsanitäter. Alle diese Arbeiten deuten darauf hin, dass der historische Verlauf in Osteuropa nicht notwendig auf eine Demokratie nach westeuropäischem Vorbild (in der die Politik und das Privatleben ähnlich langweilig sind) hinauslaufen wird. Sie verweisen auf einen ästhetischen Überschuss im Alltag, der einen "grauen" Präsidenten wie Putin in Russland erst erträglich macht.

Das Bild des Fortschritts ist nicht der Prozess, sondern der (plötzliche) Umschlag: Etwas verwandelt sich in sein Gegenteil. In der Fotografienserie Positives des polnischen Künstlers Zbigniew Libera sind die berühmten Vorbilder noch gegenwärtig: Das nackte Mädchen, das vor einem Bombenangriff in Vietnam davonläuft, lacht in Liberas Version. Er zeigt einen Gruppe glücklicher Menschen, die Spuren des Kriegs sind getilgt, der Fallschirm erscheint wie ein Sportgerät.

Es ist nicht die eigene Geschichte, die Libera ins Positive kehrt, denn aus Polen gibt es keine Bilder, die auf eine ähnliche Weise ins globale Vorbewusste eingegangen sind wie das Inbild aus Vietnam. Die Kunst öffnet häufig erst einen Weg nach Westen, in den Betrieb, der die Preise und die Diskurse bestimmt.

Der Bulgare Nedko Solakov dokumentiert die internationale Einladungspolitik mit einem besonders prekären Beispiel: Er sollte in Tel Aviv ausstellen, einer Stadt, deren Leben durch die Gefahr von Anschlägen bestimmt wird. In der Videoinstallation Negotiations zeigt er, wie er mit Vertretern Israels und der Palästinenser darüber verhandelt, für die Dauer seines Aufenthalts in einen Waffenstillstand einzuwilligen.

Das Private und das Politische treffen auf eine Weise aufeinander, die aufschlussreich ist: Solakov nimmt seine Angst so ernst, dass er ihr selbst einen geopolitischen Konflikt unterwerfen möchte. Damit produziert er das Symptom der politischen Tätigkeit unter dem Regime der Privatisierungen: Ohnmacht und Größenwahn liegen beieinander, der Marsch durch die Institutionen wird entweder zum ironischen Einschleichmanöver oder zum martialischen Aufmarsch. Zwei von vielen Geschwindigkeiten. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.5.2004)