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Edmond Mariani, ein französischer Weltkriegsveteran, beim Gedenken auf dem Amerikanischen Friedhof in Colleville-sur-Mer (Archivfoto aus dem Jahr 2003).

Foto: REUTERS/Pascal Rossignol
Im Normandie-Nest Sainte-Mère-Eglise ist auf den Kirchenfenstern keine biblische Szene dargestellt, sondern die Landung schwer bewaffneter Fallschirmtruppen. Amerikanischer Fallschirmtruppen. Am Kirchturm baumelt eine Stoffpuppe an einem verblichenen Fallschirm: eine Erinnerung an den "D-Day" des 6. Juni 1944, als ein abgesprungener US-Soldat an der Turmspitze hängen blieb. Er überlebte das Feuer der deutschen Wehrmacht und ging in die Geschichte ein - als Symbol für die Operation "Overlord", mit der die Alliierten Hitlers Atlantikwall durchbrachen und zum Sturm auf Berlin ansetzten.

Vor der Kirche ist Markt - mit Backwaren, normannischen Äpfeln, Pont-L'Evêque-Käse und mehreren Pommes-Frites-Ständen, an denen sich D-Day-Touristen aus allen Herren Länder verpflegen. Ein paar Schritte weiter bietet das obligate D-Day-Museum Fotos, Schlachtpläne, Kriegsrelikte und Geschenkstände. Daneben eine Pizzeria in "Stars and Stripes": US-Besucher sind besonders willkommen - ob sie nun aus der Luft oder mit dem Auto ankommen.

Oder mit dem Rollstuhl, wie ein französischer Veteran, der sich lauthals weigert, von seiner Gattin zur Messe ins Kirchenschiff geschoben zu werden. Was hält er von der Präsenz des deutschen Kanzlers Gerhard Schröder an den D-Day-Feiern des 6. Juni? Keine banale Frage hier in der Normandie. Dass jetzt auch Deutsche zum Jahrestag kommen, wird nicht überall goutiert. Noch vor zehn Jahren musste François Mitterrand seine Idee fallen lassen, Helmut Kohl zum 50. Gedenktag einzuladen. Doch die deutsch-französische Freundschaft konsolidiert sich. "Spinner wie die Nazis gibt es überall - das ist kein Grund für Vorurteile gegen die Deutschen", meint der Veteran im Rollstuhl.

Frühere Rollen

Versöhnung zwischen den Fronten von vor 60 Jahren also, nicht aber das Vergessen der früheren Rollen: Die einen haben gesiegt, die anderen haben verloren; die einen haben Schuld auf sich geladen, die anderen nicht. Dieser Gegensatz mag zu den Feiern verdrängt werden. Auf der Fahrt entlang dem Küstenstrich sticht er aber ins Auge. Die Pointe du Hoc, wo US-Army-Ranger unter deutschem Feuer die senkrechten Klippen emporkletterten und nicht alle oben ankamen, wird heute von den Touristenmassen erobert. Die vielen Jugendlichen brauchen ihre Fantasie kaum anzustrengen, um sich die Dramatik der historisch-heroischen Kletterpartie vorzustellen: "Hier kamen unsere Jungs hoch", klärt ein Amerikaner seine Spösslinge auf und zeigt auf das abrupte Ende der Grasnarbe.

Von Helden und Patrioten zeugt auch der US-Soldatenfriedhof in Colleville. Das Bild des weiten Rasenfeldes mit den säuberlich aufgereihten weißen Kreuzen ist allseits bekannt; im Irakkrieg verwendeten es US-Medien, um die Franzosen eher polemisch an die Schützenhilfe von einst zu erinnern. Bei der Normanie-Landung starben 57.000 Alliierte, 60.000 Deutsche. Vom klassizistisch-kitschigen Mahnmal des Friedhofs künden eingemeißelte Riesenlettern auf Englisch: "Diese umkämpfte Küste ist für ewig geweiht durch die Ideale, Werte und Opfer unserer Landsleute." Leicht zu übersehen ist hingegen das Schild "Deutscher Friedhof". Wer ihm folgt, stößt am Ende der Straße nicht auf Souvenirstände oder ein Flaggenmeer. Der Parkplatz ist klein und fast leer. Die Gräber sind nur durch eine Steinplatte im Rasen gekennzeichnet; in der Mitte des Friedhofs erhebt sich ein Buckel mit einem Massengrab.

Ein Regenschauer hat sich über den Friedhof ergossen. Die Eichen triefen, ein paar Bundeswehrsoldaten retten sich in einen Unterstand. Die Rekruten aus Trier sind hier zur Grabpflege. Dass sie Schröders Anwesenheit an den D-Day-Feiern begrüßen, versteht sich. So spektakulär sei das nun auch nicht, schließlich hätten sich Kohl und Mitterrand in Verdun 1984 schon die Hand gegeben.

Keine Bitterkeit

"Heute herrscht doch die deutsch-französische Freundschaft", wirft ein Rekrut ein. Man spürt, wie wichtig sie ihm ist. Warum gibt es hier keine weißen Grabkreuze wie auf dem US-Friedhof? "Die Amerikaner mögen das eben", erklärt ein Rekrut. "Wir haben nur schwarze Steinplatten, weil wir die Verlierer waren." In der Stimme schwingt keinerlei Bitterkeit mit. "Die Amerikaner wollen zeigen, dass sie den Krieg gewonnen haben, während unser Friedhof zum Denken anregen soll. Es ist eine Erinnerungsstätte."

Aber auch ein richtiger Friedhof, fügt sein Kumpel an: "Dort drüben liegt ein 16-Jähriger und dort ein 70-Jähriger." Dann knöpft er die Tarnfarbenpelerine zu und macht sich daran, von einer weiteren Reihe nasser Steinplatten das Moos zu kratzen. (DER STANDARD, Print, 28.5.2004)