P. D. James
Im Saal der Mörder
€ 20,60/540 Seiten.
Droemer, München 2004.

Foto: Buchcover
Hast ist unziemlich: 158 Seiten bis zur ersten Leiche. Das nennt man feine Manieren. Da wird vor der Katastrophe Tee getrunken und gepflegt parliert. Man hat es mit einem durch und durch britischen Krimi zu tun.

Phyllis Dorothy James, Baroness of Holland Park, gehört seit vielen Jahren zu den Autoren, die die heimischen Besonderheiten gegen den internationalen Trend des Plastikhelden verteidigen. James' geheimnisvoller, dichtender Commander Dalgliesh entzieht sich jeder Kategorisierung. Und die Gestalten, denen er im Zuge seiner Ermittlungen begegnet, können so nur auf der Insel existieren. Der skurrile Mister Ackroyd ist eine solche Figur. Er arbeitet in einem verträumten Privatmuseum, wo er Material für eine kulturhistorische Arbeit sammelt. Das Museum, das drei Geschwistern gehört, beherbergt einen "Saal der Mörder" mit gruseligen Exponaten aus der Zwischenkriegszeit. Ackroyd will mit seinen Studien beweisen, dass die Art und Weise, wie Leute ermordet werden, zeitabhängig ist. Das heißt, es gibt Verbrechen, die in ihrer spezifischen Konstellation nur in einer ganz bestimmten Epoche begangen werden können.

Dieser hübschen, wenn auch ein wenig selektiven Theorie folgt alsbald die grausame Praxis. Einer der Mitbesitzer des Museums fällt in seinem Jaguar einem Brandanschlag zum Opfer. Er hatte zuvor seine Geschwister dazu überreden wollen, das Museum endlich zu schließen und die Exponate zu verkaufen. Ein erbitterter Familienstreit, der auf handfeste Weise ausgetragen wurde?

James hat etliche der Schauplätze - wie das Museum - frei erfunden. Die Atmosphäre ist dennoch ungemein einprägsam und überzeugend. So dicht die Reminiszenzen an die gute britische Lebensart auch sind, hindert das James nicht daran, ein waches Auge auf die heutigen Zustände zu haben. Das reicht von erbitterten Anmerkungen zur immer mehr schwindenden sozialen Sicherheit bis zu den albtraumhaften Verkehrsstaus in London. Dass sich eine feine Lady als Betreiberin eines exklusiven Sexklubs entpuppt, ist auch nicht außerhalb jeder Tradition. Der freundlich blickenden älteren Dame mit grauem Haar und Haarreif auf dem Cover ist jedenfalls nicht zu trauen: Höchstwahrscheinlich versteht sie sich nicht nur aufs Schreiben, sondern auch auf die Zubereitung vergifteter Gurkensandwiches. (DER STANDARD, ALBUM, Printausgabe vom 29./30./31.5.2004)