Salzburg - Nicht nur der 300. Todestag des in Salzburg verstorbenen Komponisten Heinrich Ignaz Franz Biber sollte allen empfänglichen, dem Althergebrachten ebenso wie dem Zeitlosen verbundenen Musikfreunden ein markantes Datum sein. Verstärkt im Blick- und Hörwinkel müssten auch ungeachtet von Geburts- und Sterbedaten dessen erregende, ja im besten Sinne erschreckend auskunftsfreudige, technisch schikanös anspruchsvolle Werke stehen.

So ist es den insgesamt nicht überglückhaften Programmierern der Salzburger Barockpfingsten zu danken, den Geiger John Holloway engagiert und ihn im Mozarteum auch in akustisch angemessener Umgebung platziert zu haben. Holloway versteht es, Bibers begleitete (Marieke Spaans) und unbegleitete Sonaten - seien sie im biblischen Kontext oder aus weltlicher Virtuosensicht erdacht - in all ihrer wundersamen Pracht auf Gegenwartsniveau zu heben, als bedeuteten 200 Jahre Musikgeschichte nichts weiter als ein ästhetischer Augenaufschlag.

Unter dem Eindruck einer solchen Demonstration von Farben, Zwischentönen, sprachmusikalischen Akzenten und Wendungen im Sinne lebendigster Kommunikation mit dem Hörer möchte man manch einem "modernen" Geiger wünschen, sich mit Biber, besser noch: mit Biber und Holloway zu befassen.

Vom angemessenen Raum war die Rede. Die Felsenreitschule ist für so manchen Aktionismus ein stimmungsvoller Ort, nicht aber für ein kammerorchestral besetztes Ensemble wie die tüchtigen Talens lyriques aus Frankreich, die unter der etwas betulich wirkenden Leitung von Christophe Rousset (einem der besten Cembalisten unserer Tage) wie verloren für Beispiele aus dem Fundus der großen Heroinen der "Tragédie lyrique francaise" um Gehör und Verständnis warben.

Sie hatten mit der Sopranistin Salomé Haller eine schlank und wendig singende Hauptdarstellerin mitgebracht, die sich in bald verspielten, bald elegischen Passagen ereiferte, aber nicht eigentlich als "Heroin" hervortat. Ein insgesamt blasser Abend mit Werken von Lully, Charpentier, Rameau und Leclair, der sich eher als eine ausgedehnte akustische Fußnote erwies.

Bachs h-Moll-Messe

Ganz im Gegensatz zur ausgefeilten, dabei keineswegs akademischen Wiedergabe von Bachs h-Moll-Messe mit den bewährten Stuttgarter-Ensemble-Kräften aus der langjährigen Schule Helmuth Rillings. Phänomenal der schlanke, intonationssichere, wortdeutliche Gesang der Gächinger Kantorei, nachdenklich bis strahlend der Klang des Bach-Collegiums - kurzum eine vokal-instrumentale Gestaltungsbasis für eines der bedeutendsten Kunstwerke aller Zeiten, die Rilling Gelegenheit gibt, sich trotz aller Routine jeder Art des interpretatorischen Selbstzitats entgegenzustemmen.

Mit den Sopranen Sibylla Rubens und Anne-Carolyn Schlüter wirkten die weiblich-hellen Aspekte einer festlich-andächtigen Aufführung makellos repräsentiert, während die Altistin Anke Taylor dunklere Aromata zum durchsichtigen Gesamtspiel beisteuerte. James Taylor (ein quicker, oboenhaft agierender Tenor), Franz-Josef Selig in den tiefen Tälern eines Basses vom Höchsten berichtend und der rasant aufstrebende Bariton Christian Gerharer fügten sich mit der gebotenen Selbstverständlichkeit, aber auch mit Eigeninitiative in das kunstvolle, gleichwohl berührende Gesamtgewebe ein.

Dass sich dies alles nur wenige Stunden vor dem finalen Gastspiel der flotten, unbekümmerten Solisti Veneti ereignete, spricht Bände, aber nicht unbedingt für das pfingstbarocke Augenmaß dieser Salzburger Zwischenfestspiele. (DER STANDARD, Printausgabe, 1.6.2004)