Wien - Die Volksanwaltschaft wirft in der Causa rund um die Finanzierung der Homepage von Finanzminister Karl-Heinz Grasser sowohl der Staatsanwaltschaft Wien als auch Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) Missstände vor. Das geht aus der "Missstandsfeststellung" hervor, die die Volksanwaltschaft Mittwoch abend nach ihrem amtswegigen Prüfverfahren einstimmig beschlossen hat.

Einen Missstand stellt demnach die Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Wien ohne Einholung eines Gutachtens zum wahren Wert der Homepage dar. Ebenso als Missstand wurde erkannt, dass Böhmdorfer die Einstellung der Ermittlungen ohne ein solches Gutachten genehmigte. Auch den Antrag der Staatsanwaltschaft Wien an die Ratskammer, die Gerichte für nicht zuständig zu erklären, hält die Volksanwaltschaft für einen Missstand.

Nicht auf Medienberichten gestützt

Die Volksanwaltschaft wirft der Staatsanwaltschaft vor, dass sie den Wert der Homepage mit nicht mehr als 50.000 Euro angenommen hat und sich dafür "nicht zuletzt auf zahlreiche Medienberichte" stützte. Nach dem Abgabenrecht ist für ein Finanzvergehen dann ein Gericht zuständig, wenn der Wertbetrag, nach dem sich die Strafdrohung richtet, 75.000 Euro übersteigt.

Die Volksanwaltschaft kann die Feststellung des Wertes der Homepage durch die Staatsanwaltschaft "nicht nachvollziehen. Es kann nicht als gehörige Benützung aller zur Erforschung der Wahrheit dienlichen Mittel angesehen werden, dass sich die Staatsanwaltschaft Wien zur Wertberechnung im Wesentlichen auf Artikel in Wochenzeitschriften beruft."

Dass die Staatsanwaltschaft die Sach- und Fachkunde besitzt, diese Wertschätzung selbst vorzunehmen, kann seitens der Volksanwaltschaft "weder aus der dürftigen Begründung im Akt noch sonst wie angenommen werden. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass der Wert der Homepage nicht so unstrittig ist, wie er in dem genannten Artikel erscheint. Aus anderen Quellen ergibt sich nämlich ein abweichendes Bild."

Konkret verweisen die Volksanwälte darauf, dass Grasser laut Parlamentskorrespondenz in der Beantwortung einer Dringlichen Anfrage im Bundesrat den Wert der Homepage mit "sicher 150.000 Euro" beziffert habe.

100.000 Euro Differenz

Somit ergebe sich ein Differenzbetrag von zumindest 100.000 Euro. Dass die Staatsanwaltschaft sich dennoch alleine auf diejenigen Medienberichte, die einen Wert von maximal 50.000 Euro attestierten, verließ, kann nach Ansicht der Volksanwaltschaft "nicht als sorgsame Ermittlungstätigkeit angesehen werden". Auch dem Justizminister hätte dieser Widerspruch auffallen müssen, meinen die Volksanwälte. Von einer Empfehlung zur Einholung eines Gutachtens sehen die Volksanwälte ab, weil dies bereits durch die Ratskammer veranlasst wurde. (APA)