Wenn die Chirurgen ihre Arbeit getan haben, fängt die Herausforderung erst an: Jährlich werden in Österreich rund 700 Patienten Organe oder Gewebe von fremden Spendern eingepflanzt. Neue Nieren oder Herzen, Lungen und Lebern ermöglichen den Patienten oft Lebensjahre, die sie ohne Transplantation nicht erlebt hätten. Viele werden durch das biologische Ersatzteil wieder so fit, dass sie Marathons laufen können.

Die neu gewonnene Fitness hat aber einen Preis. Denn für den Körper der Organempfänger ist das lebensrettende Gewebe nichts anderes als ein Fremdkörper, der mit aller Kraft zerstört werden muss. Das Immunsystem würde innerhalb von wenigen Tagen den Erfolg der Transplantation zunichte machen. Deshalb beginnt für die Patienten nach der Operation eine Gratwanderung. Mithilfe eines Medikamentencocktails müssen sie lebenslang ihr Immunsystem so weit schwächen, dass es das fremde Gewebe nicht abstoßen kann, gleichzeitig aber noch stark genug ist, um gegen Viren und Bakterien zu schützen.

Anfällige Patienten

Trotz großer Verbesserungen in den vergangenen 20 Jahren gelingt dieser Balanceakt nicht immer. Transplantationspatienten sind anfälliger gegen Infektionen und Krebserkrankungen, weitere Nebenwirkungen wie Bluthochdruck können ihnen das Leben schwer machen.

Deshalb wird weltweit intensiv geforscht, wie der Körper schonender dazu gebracht werden kann, das fremde Gewebe zu tolerieren. Zum einen wird dabei versucht, die vorhandenen Medikamente niedriger zu dosieren - was schwierig ist, weil die Messung der Immunaktivität bisher nur schwer möglich ist.

Andere Forscher versuchen gänzlich neue Wege zu einem gemeinsamen Ziel: "Die ganze Branche träumt seit Jahrzehnten davon, ganz ohne die künstliche Schwächung des Immunsystems auskommen zu können", so Thomas Wekerle von der Abteilung für Transplantation an der Universitätsklinik für Chirurgie im Wiener AKH. Ideen dazu gibt es viele. Sie reichen von der Unterbrechung der körpereigenen Kommunikationspfade über die Modulation des Immunsystems bis zu genmanipulierten Schweinen, die als Organspender gezüchtet werden sollen (siehe Wissen).

Kanäle unterbrechen

International am stärksten beforscht wird derzeit die gezielte Unterbrechung von Kommunikationskanälen eines Teils des Immunsystems mithilfe so genannter Co-Stimulationsblocker. Das Prinzip klingt simpel: Üblicherweise erkennt das Immunsystem einen Eindringling - oder in diesem Fall ein Spenderorgan - anhand von Molekülen auf der Zelloberfläche. Das allein reicht aber noch nicht aus, um das Immunsystem zur Abwehr zu bewegen. "Das funktioniert wie bei einem misstrauischen Feuerwehrmann", erläutert der Transplantationsexperte Paul Hengster vom Kompetenzzentrum Medizin Tirol. "Der unternimmt wenig, wenn nur ein Mensch anruft und einen Brand meldet. Erst wenn mehrere Anrufe kommen, wird der Alarm ernst genommen." Und genau diese zusätzlichen "Anrufe", die so genannten Co-Stimulationssignale, sollen blockiert werden.

Fast alle großen Pharmakonzerne haben entsprechende Produkte in der Pipeline, die auf der genauen Kenntnis der entscheidenden Gene und Proteine basiert. Schon laufen erste, viel versprechende kli- nische Studien mit dem maßgeschneiderten Antikörper gegen CTLA-Ig, der den Informati- onsfluss verstopfen soll. Im Idealfall erkennt der Körper zwar das Antigen, wegen der ausbleibenden Co-Signale beschließt er aber, nicht dagegen vorzugehen. Doch zeigen diese Versuche auch unerwartete Probleme. Das Prinzip ist schwierig umzusetzen, die Körperabwehr ist doch komplizierter gestrickt als ein misstrauischer Feuerwehrmann. "Vieles im Immunsystem ist doppelt und dreifach abgesichert. Wenn wir einen Mechanismus ausschalten, tritt ein anderer in Kraft", erklärt Hengster.

Eine andere Idee verfolgt Novartis. Der Wirkstoff mit der Bezeichnung FTY 720 bringt fast alle T-Zellen, die im Blutkreislauf patrouillieren dazu, sich in die Lymphknoten zurückzuziehen und auch dort zu bleiben. "Die wenigen Zellen, die immer noch zirkulieren und eine Gefahr für das neue Organ darstellen, können mit niedrigeren Dosen von herkömmlichen Medikamenten in Schach gehalten werden", so Novartis-Product-Manager Wolfgang Hensel. So bleibt das neue Organ für das Immunsystem unsichtbar. Derzeit wird die Substanz auch in Wien getestet. Verlaufen die Versuche weiterhin so gut wie bisher, könnte die Arznei in zwei Jahren zugelassen werden, hofft Hensel. (Günther Strauss/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 6. 2004)