Wien - "Einatmen" hatte er seine Präludien genannt: Klang gewordene Momente der inneren Sammlung, der Einstimmung auf das nachfolgende Werk, die in ihrer von Wellenbewegung und Flageoletts getragenen Ruhe selbst kleine Welten in sich trugen: magische Miniaturen als einer der Höhepunkte des Eröffnungskonzerts zum Zyklus von Christian Muthspiel und der Camerata Salzburg im Gläsernen Saal des Musikvereins.

"Around 1950" war der Abend mit Neoklassizismus-Stücken der 40er-Jahre überschrieben, und wer den Steirer kannte, wusste, dass er seine Programme nicht nur brav dirigieren, sondern geradezu durchkomponieren würde: Strawinskys Concerto in Re fand ein Improvisationstrio vorangestellt, in dem Muthspiel, Herwig Gradischnig (Saxofon) und Christian Salfellner (Drums) gekonnt mit dem Themenmaterial jonglierten.

Und da wurde hörbar "eingeatmet". Es war die innere Energie des spontan schöpferischen Musikers, die sich über Muthspiels körperbetontes, gleichsam "beschwörendes" Dirigat auch auf das Orchester übertrug. Wie hier Friedrich Cerhas Hindemith-geprägtes Concerto für Streichorchester mit wilder Motorik und tief romantischer Expressivität erfüllt wurde, da erlebte man jeden einzelnen Takt als Abenteuer.

Auch Benjamin Brittens Prelude und Fugue, op. 29 kam plastisch über die Rampe, während beim Concerto in Re das Hauptohrenmerk akkurater Tempodisziplin gehörte - zuungunsten der nunmehr inkohärenten Spannungsbögen. In den Sätzen aus der Focus-Suite des Benny-Goodman-Arrangeurs Eddie Sauter bewies Solist Gradischnig architektonischen Formsinn und virtuose Reife.

Ein exzeptioneller Abend mit neuen Ansätzen, der dennoch der einzige bleiben könnte. Nach Scheitern der Verhandlungen mit Stadt und Bund bezüglich einer Sondersubvention für die neuen Säle ist Musikvereins-Chef Thomas Angyan offenbar gezwungen, die weiteren Zyklus-Konzerte - wie auch Teile des übrigen Herbstprogramms - zu stornieren. Eine mittlere Katastrophe für die betroffenen Ensembles, für die Sponsorverträge und Kooperationskonzerte daran geknüpft sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.6.2004)