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Das fußballfeldgroße, fotovoltaische Kraftwerk deckt den gesamten Energiebedarf des Forums

Reuters/Victor Fraile
Die böse, schwarze Gigantenmaschine schnaubt und sprüht Gift gegen die Libelle, den Käfer, die Ameise. Die Raupe stirbt vor sich hin. Die Leute von Sarruga, die die riesigen Insekten per Pedal und Seil bewegt hatten, hängen reglos in ihren Sitzen. Alles tot, kaputt. Was nun? Eine hölzerne Blume öffnet ihre Blätter. Und heraus steigt ein weißer Luftballon. Die Tiere erwachen. Die Umweltverschmutzung ist eingedämmt. Die Welt gerettet. Das Forum der Kulturen entlässt seine Botschaft in den Sommerhimmel.

In einem Saal, tief unten im azurblauen Dreieck, dem neu erbauten Konferenzzentrum der Schweizer Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron rätseln einstweilen Philosophen über den Unterschied zwischen Wissen und Weisheit und den Sinn des Forums der Kulturen. "Barcelona 2004 ist dazu da, sich die Welt vorzustellen, nicht wie sie ist, sondern wie sie sein sollte", sagt der Präsident der philosophischen Forschungsgesellschaft Obadiah Harris. Bis zum 26. September finden über 500 Konzerte, 24 Ausstellungen, zahlreiche Festivals, Theaterstücke und 47 Dialoge zu den drei Hauptthemen "kulturelle Diversität", "nachhaltige Entwicklung" und "Bedingungen für den Frieden" statt.

Dort, wo der Besós ins Meer fließt, vor den drei Müllverbrennungsschloten von Sant Adria, entstand auf 30 Hektar eine megalomane Ausstellungsanlage. Der Aufbau der Konferenzzentren, Plätze, Restaurants, die Strandanlage, die Installationen, Freilufttheater und die Solaranlage kosteten insgesamt drei Milliarden Euro. Das Meer und die Stadt vereinigen sich. Durch gläsern-schwarze Würfel kann man auf die Ronda de Litoral schauen, eine der Verkehrsadern der Stadt, die unter dem Forum vorbeizieht. Zu Füssen des gigantischen Monitors, der beinahe die Hochöfen verdeckt, wird das Meer in einem Hafen eingefangen. Ein Ort für Artisten-Vorführungen, asiatische und afrikanische Läden und die Ausstellung "Die Krieger von Xi'an", deren Einführungsfilm allerdings auf Katalanisch gezeigt wird.

Ein Beispiel für die Widersprüchlichkeit der pulsierenden Weltstadt, der nationalstolzen Provinzhauptstadt Barcelona: Globales Denken wird mit Lokalpatriotismus verquirlt und selbstbewusst dargeboten. Wer nicht Katalanisch kann, hat eben noch nicht verstanden, was kulturelle Diversität ist.

Barcelona 2004. Über dem Meer, auf den künstlichen Klippen, springen Menschen, sich an den Händen haltend, um einen Brunnen und bringen dadurch die Fontäne zum Sprühen. In der Haima, einem 16.000 Quadratmeter großen Zelt, informieren orange Bankomaten über ethische Anlageformen. In der Schau "Inhabiting the World" wandelt man durch Müllzimmer, die den Konsumabfall einer durchschnittlichen europäischen Familie zeigen. Wer kurz nicht aufpasst, ist schon fotografiert und wird aufgefordert, gegen das Sponsoring von Nike für die Olympischen Spiele zu demonstrieren. Das Forum der Kulturen ist eine Plattform von und für Idealisten, Friedens- und Umweltaktivisten und Multikulturalisten. Und Barcelona ist wohl die geeignetste Bühne dafür.

In der Stadt, in der im Vorjahr zwei Drittel der Einwohner an Demonstrationen teilnahmen und wochenlang abends um halb zehn eine Klangwolke aus "Topfklopfen gegen den Krieg" (Casserolada) über dem rosa-bräunlichen Himmel schwebte, gehört es zur Identität, Pazifist zu sein, die Globalisierung zu kritisieren, sich in NGO's zu engagieren, kurz, ein aktiver Bürger zu sein. "Make sure that you always have something nearby to protest with", steht über den randvoll mit Töpfen und Löffeln gefüllten Supermarktwagerln. Die Ausstellung "Hyperactivists" beschäftigt sich mit dem Alltag im Krieg. Rezepte für Kriegsmayonnaise aus dem Sarajevo der 90er-Jahre sind nachzulesen. Und ein Spiegel befragt den Besucher: "Ets activista? - Bist du ein Aktivist?" Recyclest du? Wählst du? Bist du ein verantwortungsvoller Konsument? Protestierst du? Katalanische Selbstironie oder Eigendefinition? "Was ist passiert?", lässt der Dichter Mercé Rodoreda eine Frau im Chaos der sich rempelnden Massen fragen. "Nichts. Eine Demonstration", sagt ihr Gegenüber. Selbstverständlich wurde anlässlich der Eröffnung auch gegen das globalisierungskritische Forum demonstriert.

Von oben betrachtet liegt das Forum am Ende der Avinguda Diagonal. Wie ein Wegweiser zum Konferenzzentrum wächst auf ihr der Agbar-Turm, ein 142 Meter hoher Phallus des Architekten Jean Nouvel mit seinen scheinbar willkürlich platzierten 4400 Fenstern. Seit den 1980er-Jahren ist die katalanische Metropole zu einem Spielplatz für internationale Architekten geworden. Das strahlende Weiß des Museums für zeitgenössische Kunst (MACBA) von Richard Meier im ehemals abgefuckten El Raval, die Bauhaus-Ästhetik der Räume, deren Glasfassaden Blicke in den Himmel oder den großzügigen Platz ermöglichen, ziehen nicht nur Architekturstudenten an. Jedes Jahr im Juni kommen zehntausende Menschen mit hellblauen Armbändchen zur Sonar, dem wichtigsten europäischen Festival für elektronische Musik. Die Stars der Szene sitzen dann sanft wippend vor ihren Laptops und werfen flirrende Bilder und Töne in den Raum. Und die Stadt wird endgültig zum Kristallisationspunkt des Experiments, der Wilden, des Urban Style. Heuer wird sich die Sonar auch im Forum der Kulturen einnisten, und das Publikum wohl unter sich bleiben.

Durchschnittstouristen konnte die Nichtregierungsolympiade bislang ohnehin nicht anlocken. Die Besucherzahlen liegen weit unter den Erwartungen. Die meisten Barcelona-Reisenden werden sich in diesem Sommer wohl vom Park Güell zur Ausstellung "Cultura de masas" (Salvador Dalis 100er wird gefeiert) führen lassen. Und die Barceloneses werden ihre Stadt erst wieder zeigen, wenn der schmutzige Himmel schwarz wird. Dann werden sie San Jordi oder sonst irgendeinen Heiligen zum Vorwand nehmen, um auf den ewig tagheißen Plätzen von Gracia zu feiern oder eine Demonstration zu planen oder in den dunklen Ecken des Barri Gòtic einfach abzuchillen. (Adelheid Wölfl/Der Standard/rondo/11/6/2004)