"Presse"

In Österreich habe kein Kandidat wirklich vermitteln können, "warum man gerade ihn wählen soll. Da bleibt man halt daheim (trotz der vielen Porno-Stars oder ORF-Oldies als Kandidaten) oder watscht die eigene Regierung (die kennt man wenigstens, und es hat doch keine Folgen) oder wählt die jeweils gerade modische Protestfigur. Vor fünf Jahren hieß sie Jörg Haider, heute heißt sie Hans-Peter Martin. Programm, Perspektive sind weder bei Rechts- noch bei Linkspopulisten konsistent. Beide bleiben historisch Sternschnuppen von des Biertischs Gnaden. Ihr Einfluss in Europa entspricht nicht annähernd den medialen Wellen, die sie immer wieder schlagen können."

Wolfgang Schüssel sei einer von wenigen der Regierungschefs, dessen Partei ein Plus verbucht hat, so Chefredakteur Unterberger weiter. "Heißt das etwas für seine EU-Karriere? Insgesamt aber kann sich auch die ÖVP nicht freuen: Die SPÖ behielt die Nase knapp voran, und der Koalitionspartner wurde atomisiert. Da kann man Schüssel oder seinem Erben nur wünschen: Viel Spaß beim Regieren!", denn "wenn man Europas Regierung nicht strafen kann, straft man die eigene."

"Vorarlberger Nachrichten"

"Für Wolfgang Schüssel, Alfred Gusenbauer und Alexander Van der Bellen ist das gestrige Wahlergebnis erfreulich bis erträglich gewesen; nachdem ihre Listen mehr oder weniger deutlich zugelegt haben, können sie nun zur Tagesordnung zurückkehren. Anders schaut es naturgemäß bei den Freiheitlichen aus, die gestern die schwerste Niederlage eingefahren haben, die eine Partei bei einem bundesweiten Urnengang je erlitt; da wird es Konsequenzen geben müssen", meint Johannes Huber. Vizekanzler Hubert Gorbach, die geschäftsführende Parteiobfrau Ursula Haubner und der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider werden sich den Kopf darüber schon zerbrochen haben ... "Spannende Wochen sind jedenfalls zu erwarten".

Kurier"

Europa-Wahlen spiegeln stets auch die politische Stimmung in den einzelnen Mitgliedsstaaten, meint Chefredakteur Christoph Kotanko. Für Österreich ließen sich daraus Schlüsse ziehen: "Das Interesse der Wahlberechtigten ist auf einem Tiefpunkt; die Nichtwähler sind mit Abstand die stärkste 'Partei'; jene, die in der Wahlzelle ihren Protest gegen die herrschenden Zustände kundtun wollten, wählten gern HPM; die Kanzlerpartei ÖVP schlug sich, verglichen mit anderen Regierungsparteien in der EU, sehr gut, ihr Koalitionspartner FPÖ wurde für seine politische Dummheit abgestraft."

Die FPÖ werde nun nach ihrem bekannten Muster vorgehen, glaubt Kotanko: "Ablenkung statt Ursachenforschung. Es könnten Umbesetzungen in der Regierungsriege und ein 'Jetzt erst recht'-Parteitag kommen. Nach dem gewöhnlichen Krawall wird weiterregiert wie bisher. Diese FPÖ hat keine andere Wahl."

"Kleine Zeitung"

Chefredakteur Erwin Zankel sieht als markantestes Ergebnis des heutigen Sonntag die weiter sinkende Wahlbeteiligung: "Schon deswegen sind Rückschlüsse auf Nationalratswahlen nicht sehr aussagekräftig."

Dass Hans-Peter Martin zur drittstärksten Kraft wurde, "ist eine Blamage für die etablierten Parteien. Auch für die Grünen, die sich für die Avantgarde Europas halten. ... Der Absturz der Blauen war absehbar. Die Niederlage fiel allerdings noch katastrophaler aus. Die FPÖ, die bei der EU-Wahl 1999 noch das Protestmonopol hatte, wurde auf den harten Kern dezimiert, den sie vor dem Auftauchen Jörg Haiders hatte. Bei aller Vorsicht lässt sich sagen: Das Ende ist nahe." Ob damit bereits die Totenglocken für Schwarz-Blau läuten, ist ein anderes Kapitel. Der Vorsprung der SPÖ fiel nicht so groß aus, dass Alfred Gusenbauer sicher sein kann, bei den Nationalratswahlen Rang 1 zu erobern, vor allem dann nicht, wenn Wolfgang Schüssel 2006 wieder sein Gegner sein sollte. Der Bundeskanzler hat bewiesen, dass er unkonventionelle Koalitionen schmieden kann, wenn es um die Erringung oder Verteidigung der Macht geht.

"Salzburger Nachrichten"

Kommentator Gerhard Steininger schreibt von "Protestwahlen" und listet zwei Proteste auf. Protest Nr. 1: Die "katastrophal niedrige" Wahlbeteiligung "war eine unmissverständliche Demonstration gegen ein Europa, wie es die Österreicherinnen und Österreicher - zu Recht oder zu Unrecht - empfinden. Protest Nr. 2: Martin hat "sehr gut abgeschnitten und nicht, weil er der österreichischen Bundesregierung etwas ans Zeug flicken wollte, sondern weil er einen Missstand im europäischen Parlament aufgedeckt hat. Ob das Bild, das man sich von Martin macht, richtig oder falsch ist, ist gleichfalls unerheblich. Der Wähler behält Recht."

"Krone":

"Wie es aussieht, liegt die SPÖ zur Stunde (Redaktionsschluss) der ÖVP etwas voraus. Es wird die Sozialdemokraten jedoch trotzdem sehr treffen, dass es nicht die von den Sozialisten erhoffte 'Denkzettelwahl' gegeben hat. Daran ist Josef Broukal schuld, wie das von Gusenbauer und Bures auch erwartet worden ist", schreibt Cato in der "Kronen Zeitung".

Dass die FPÖ nur etwas über sechs Prozent erzielen konnte, sei eines "glatte Katastrophe für diese Partei, was allerdings nicht sehr überraschend ist... Die eigentliche Sensation der Wahl ist natürlich Hans-Peter Martin, der trotz übelster Hetze gegen ihn ... 13,8 Prozent erhalten hat. Dies praktisch ohne Wahlkampf! Einmalig!".

"Neues Volksblatt"

"Die Hoffnung der SPÖ, dass die EU-Wahl ein 'Denkzettel' für die österreichische Bundesregierung wird, hat sich nicht erfüllt. Die Wählerinnen und Wähler waren dazu nicht bereit - weil sie im Gegenteil bereit waren, eigenständig zu 'denken'. Und dabei zu dem Ergebnis kamen, dass die Europapolitik unter Wolfgang Schüssel sehr wohl im Sinne Österreichs und des Projekts Europa ist", meint Chefredakteur Werner Rohrhofer.

Die "denkenden" Wählerinnen und Wähler seien weiters in der Lage, zwischen einer in der Europapolitik "konstruktiv agierenden ÖVP und einer nach wie vor an sich selbst scheiternden FPÖ zu unterscheiden. Auch deswegen wurde nichts aus dem roten Traum vom 'Denkzettel' für Schwarz-Blau. Jetzt ist es an der Politik, es dem Wähler gleichzutun und sich mit bestimmten Dingen zu befassen, die bei diesem Wahlausgang zu 'denken' geben: Vor allem das hohe Potenzial an Unzufriedenen, aus dem Hans-Peter Martin schöpfen konnte. Und die alarmierend niedrige Wahlbeteiligung. Nicht zuletzt täte SPÖ-Chef Gusenbauer gut daran, sich 'denkend' zu fragen, ob er mit seinen Strategien und seiner Wortwahl in den eigenen Reihen noch "mehrheitsfähig" ist." (APA)