Als die Sache vor ein paar Tagen ruchbar wurde, herrschte in den Feuilletons wieder einmal Aufregung. Von "heißer Luft im Digital-Regal" war die Rede, von "Diogenes als Wilhelm Tell", von Rabattschlachten auch. Schall und Rauch und Pulverdampf also. Was war passiert? Angefangen hat alles mit einer Preisliste - und einer Meldung im Branchenmagazin buchreport.express.

Der Zürcher Diogenes Verlag, hieß es da, sei nicht mehr bereit, der deutschen Niederlassung des international operierenden Online-Händlers Amazon übermäßige Rabatte auf seine Bücher einzuräumen. Nachlässe im Bereich von 50 Prozent (auf den gebundenen Ladenpreis) habe Amazon.de verlangt. Diogenes hat das dreiste Angebot von sich gewiesen. Zudem regt die Zürcher auf, dass sich Amazon die Präsentation des "Autors des Monats" mit 7500 Euro bezahlen lässt, für die "Neuheit der Woche" werden 5000 Euro berechnet, für ein einmaliges Kundenmailing 2500. Leistungen, so Diogenes, die ein niedergelassener Buchhändler in seinem Schaufenster oder im Gespräch bietet, ohne sie eigens in Rechnung zu stellen. Amazon nahm daraufhin die Diogenes-Bücher aus dem Vertrieb. Man kann sie zwar noch bestellen, sie werden aber über einen Zwischenhändler geliefert. Der Lesehungrige muss also ein, zwei Tage länger auf Brunetti, Coelho und Co. warten.

Es gibt Anzeichen, dass man die Causa gern hinter verschlossenen Türen aus der Welt geschafft hätte. Darauf deutet vor allem die Tatsache hin, dass Amazon schon seit sechs Wochen (also vier Wochen bevor der buchreport berichtete) keine Diogenes-Bücher mehr direkt vertreibt. Bei Diogenes und Amazon will man dazu nichts mehr sagen, man sei bemüht, in Verhandlung eine Klärung der Angelegenheit zu erreichen. Gesprächiger zeigt sich, wie in solchen Fällen immer, die Konkurrenz. Günter Berg, bis Ende des vergangenen Jahres Geschäftsführer von Suhrkamp und ab Juli bei Hoffmann&Campe meint: "Ein völlig normaler Vorgang". Die Empörung von Diogenes sei etwas zu laut, "die wollen einfach gemocht werden". Berg vermutet, dass sich die beiden Kontrahenten schon bald gütlich einigen werden.

Herbert Ohrlinger, der den in Wien ansässigen Zsolnay-Verlag leitet, sieht das ähnlich. Es sei erstaunlich, dass das Thema auf so großer Flamme gekocht werde, trotzdem sei es sehr positiv, dass auf die immer höheren Rabattforderungen der Großhändler aufmerksam gemacht werde. Vor zehn Jahren seien 40 Prozent noch normal gewesen, heute liege man weit über diesem Wert. Allerdings sei jeder Verlag darauf angewiesen, dass die Bücher, dort wo Bücher angeboten werden, zu haben seien.

Auch Michael Forcher vom Innsbrucker Haymon-Verlag ist durchaus zufrieden, dass das Thema diskutiert wird, verweist aber auf den Unterschied zwischen großen und kleineren Verlagen. Für Haymon sei es trotz der Partnerschaft mit der "Deutschen Verlagsanstalt" sowieso schwer möglich, in den deutschen Großhandel wie Thalia, Hugendubel etc. zu kommen, weil diese einen gewissen Jahresumsatz verlangen, der mit den wenig bestsellerträchtigen Büchern von kleineren Verlagen nicht zu erreichen sei. Deshalb sei er persönlich froh, wenn Amazon das Haymon-Programm präsentiert. Auch für Franz Hammerbacher vom Kleinverlag "Edition Korrespondenzen" in Wien liegt das Problem nicht bei Amazon, viel eher bei den Barsortimentern, vor allem "libri", deren Konditionen desaströs seien und jährlich verschärft würden.

Trotzdem wirft die Diskussion um Amazon ein Licht auf die turbulente Zukunft des Buchwesens. Zwar hält Amazon erst circa vier Prozent am Gesamtumsatz des Buchhandels, doch die Wachstumsraten des Internet-Händlers sind gewaltig, Branchenschätzungen gehen von einem fünfzigprozentigem Wachstum für 2003 aus. Nach langen Jahren der Verluste schreibt man nun endlich Gewinne - und will diese mit zunehmender Marktmacht weiter maximieren. Die Gefahr, die der Büchervielfalt durch immer schlechtere Rabatt-Konditionen droht, ist offensichtlich. Denn wenn die Hälfte des Ladenpreises dem Handel zufällt, gerät auch die berühmte Mischkalkulation (Bestseller finanzieren schwer verkäufliche Werke) ins Wanken.

Massive Auswirkungen hat das alles auch auf den traditionellen Buchhandel, der einem in der Regel ein Buch immer noch schneller besorgt als es Amazon schickt. Denn längst ist Amazon mehr als nur ein Zwischenhändler oder neu hinzugekommener Absatzkanal, sondern ein sieben Tage die Woche 24 Stunden geöffneter Buchladen im Wohnzimmer, eine Art virtuelle Elke Heidenreich mit Tipps und Empfehlungen von anderen Lesern. Die wirklichen Gefahren, die dem Sortimentsbuchhandel drohen, liegen aber in einer ganz anderen Amazon-Aktivität.

In den USA testet man gerade "Search inside the book". Es handelt sich dabei um die Luxusvariante einer Leseprobe, bei welcher es möglich ist, den Text vollständig zu lesen und mit Suchbegriffen zu erschließen. Einer der letzten Vorteile wie besonderes Ambiente, Spezialisierung und kompetente Beratung, nämlich das Blättern und Schmökern in Büchern, das, wie man aus eigener Erfahrung weiß, - zum Glück - schon zu manchem Impulskauf führte, droht dem Buchhandel so verloren zu gehen. (DER STANDARD, Printausgabe vom 19./20.6.2004)