Brüssel - Die Europäische Union sucht angestrengt nach einem mehrheitsfähigen Kandidaten für die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi, der im Oktober turnusgemäß aus dem Amt scheidet. Als erster wagte sich am Wochenende nach dem Brüsseler Gipfel der EU-Außenbeauftragte Javier Solana aus der Deckung und signalisierte Bereitschaft, den Posten zu übernehmen. Die Suche nach dem Nachfolger von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi wird Ende Juni fortgesetzt. Dann, noch vor Beginn des niederländischen EU-Vorsitzes am 1. Juli, wollen sich die EU-Spitzenpolitiker noch einmal treffen.

Die Personalquerelen hatten die Atmosphäre beim Brüsseler Gipfel am Donnerstag und Freitag stark belastet. Der konservative EU-Außenkommissar Chris Patten und sein liberaler Gegenspieler, der belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, konnten jeweils keine Mehrheit hinter sich vereinen. In der verfahrenen Situation vertagte der amtierende EU-Ratspräsident, der irische Regierungschef Bertie Ahern, dann in der Nacht zum Samstag die Entscheidung.

"Für alles offen"

Der Sozialist Solana, ehemals Außenminister Spaniens und NATO-Generalsekretär, gilt als einer der profiliertesten Politiker in Brüssel. Bei einer Konferenz in Sitges nahe Barcelona sagte er zwar, er sei für keinen Posten Kandidat. Zugleich betonte er jedoch, im Interesse der EU "für alles offen" zu sein.

Die Regierung in Madrid geht hingegen fest davon aus, dass Solana erster EU-Außenminister wird. Das sei "praktisch entschieden", sagte der spanische Außenminister Miguel Angel Moratinos nach Medienberichten vom Sonntag. Alle EU-Länder seien sich darin einig. Zu den Chancen seines Landsmannes in der Frage des EU-Kommissionspräsidenten erklärte Moratinos lediglich, in der Europapolitik dürfe man nichts ausschließen.

Weiterhin als aussichtsreicher Kandidat gilt Luxemburgs konservativer Regierungschef Jean-Claude Juncker. Dieser hat jedoch wiederholt einen Wechsel nach Brüssel abgelehnt. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok sagte am Samstag gegenüber der Deutschen Presse-Agentur, er halte Juncker trotz dessen Absage für den Favoriten.

Im Gespräch sind laut Brok auch der französische Außenminister Michel Barnier, der portugiesische Regierungschef Jose Manuel Durao Barroso und Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (V). Schüssel versicherte in einem Interview mit dem "Kurier" (Sonntag-Ausgabe), dass er sich nicht als Kandidat für den EU-Chefposten sehe. "Ich bin gern österreichischer Bundeskanzler. Ich habe da keinerlei Ehrgeiz", sagte der Bundeskanzler. Er fügte jedoch hinzu, dass ihn Europa interessiere, "weil Österreich in Europa jetzt eine ganz neue Möglichkeit der Entwicklung hat".

Bei dem Gipfeltreffen in Brüssel hatte sich vor allem der britische Premierminister Tony Blair einer Nominierung Verhofstadts widersetzt. Der Belgier ist ein offener Kritiker des Irak-Krieges. Verhofstadt war der Wunschkandidat des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

Unmittelbar vor Beginn des Treffens hatte die konservative Fraktion im Europäischen Parlament Patten ins Rennen geschickt. Da das Parlament den Kommissionspräsidenten bestätigen muss, reklamierte die Europäische Volkspartei (EVP) als stärkste Fraktion das Recht auf einen eigenen Kandidaten. Chirac machte umgehend klar, dass er den Briten Patten für die falsche Wahl halte. Blair kritisierte die Verhandlungsführung sowohl Chiracs als auch Schröders. Beim Abendessen soll es nach Angaben von Diplomaten zu einem Krach zwischen Blair und Schröder gekommen sein. Patten steht unterdessen - ebenso wie Verhofstadt - nicht mehr für das Amt zur Verfügung. (APA/dpa/AP)