Die Welt wandelt sich weder zum Guten noch zum Besseren, sondern zum Gleichschlechten. Wie still etwa die Pädagogik steht, veranschaulicht ein Sprachvirus, der seit etlichen Generationen Kinder zwischen sechs und zwölf befällt: Er schneidet ihnen mitten im Wünschen das Besitz ergreifende Verb weg. Daraus entsteht die schale Frage nach dem Können ohne Haben.

Das Zeremoniell geht so vor sich. - Kind: "Kann ich ein Eis?" Mutter/Vater: "Was kannst du ein Eis? Bezahlen? Erzeugen? Herschenken?" Kind (lächelt in vorgetäuschter Demut): "Nein, haben!" Mutter/Vater (lacht triumphierend): "Na also, warum nicht gleich!" Mutter/Vater fühlt sich pädagogisch stark und klug. Kind bekommt das Eis. Alle sind glücklich.

20 Jahre später: Das Kind ist selbst Mutter/Vater und nimmt für die Belehrung aus der Kindheit Revanche - am Nachwuchs. Das Kind hat den Sprachvirus genetisch übernommen und fragt: "Kann ich ein Cola?" Mutter/Vater: "Was kannst du ein Cola? Sehen? Riechen? Verdunsten lassen?" - Kind (demütig lächelnd): "Nein, trinken!" Mutter/Vater (triumphierend): "Na also! Außerdem heißt's nicht ,ein Cola', sondern ,ein Glas Cola'!" Kind: "Kann ich eine Flasche Cola?" (DER STANDARD, Printausgabe vom 21.6.2004)