Wien - Im Sommer 1992, kurz nach der Wahl des ÖVP-Kandidaten Thomas Klestil zum Bundespräsidenten, schien alles darauf hinauszulaufen, dass nach den Vorstellungen der SPÖ ein unabhängiger Kandidat für das Amt des Rechnungshofpräsidenten vorgeschlagen und gewählt würde. Dies in dem Bewusstsein, dass die oberste Kontrollfunktion bis dahin als eine Domäne der freiheitlichen Opposition gegolten hatte - letzter freiheitlicher Amtsinhaber war Tassilo Broesigke.

Aber es zeigte sich, dass die Wahl des RH-Präsidenten mehr als eine Formsache ist.

An den Vorabstimmungen und den Hearings der Kandidaten nahm damals der FP-Chef Jörg Haider nicht teil - stattdessen wurde der freiheitliche Kandidat, Exminister und FPÖ-Abgeordnete Friedhelm Frischenschlager zurückgezogen. Frischenschlager verließ kein Jahr später die FPÖ und schloss sich dem so genannten Liberalen Forum an, einer von Heide Schmidt geführten Abspaltung von der FPÖ. Haider setzte statt der Teilnahme an den Hearings eine Pressekonferenz an, in der er schwere Vorwürfe gegen den von den damaligen Koalitionsparteien favorisierten Kompromisskandidaten Werner Doralt vorbrachte. Er behauptete, Doralt befände sich "im Dunstkreis von Skandalen und kriminellen Brüdern" - was Haider später widerrufen musste.

Letztlich schieden alle anderen Kandidaten - darunter der heutige Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, aber auch Doralt selbst - aus und es kam zur Abstimmung im Parlamentsplenum, bei der schließlich der damalige Rechnungshof-Vizepräsident Franz Fiedler (der Vorschlag der ÖVP) als Favorit galt.

Denn die FPÖ hatte früh erkennen lassen, dass es für Fiedler eine schwarz-blaue Mehrheit geben könnte, ein sehr früher Vorgeschmack auf die im Jahr 2000 geschlossene Koalition. Aber ein Vorgeschmack, der manchen in der ÖVP Appetit gemacht hat. Der Hauptausschuss hatte Fiedler mit 14 Stimmen vor den SPÖ-Kandidaten Gerhard Holzinger und Geiserich Tichy gereiht. Die Vorgänge dieser Abstimmung haben bis in die jüngste Zeit Auswirkungen auf die Tagespolitik gezeitigt.

Denn es hat sich gezeigt, dass die Plenarabstimmung über den Vorschlag des Hauptausschusses keineswegs nur eine Formsache ist: Erhält der vom Hauptausschuss vorgeschlagene Kandidat keine absolute Mehrheit, muss der Hauptausschuss wieder zusammentreten und einen neuen Wahlvorschlag erstellen. Das Votum wird entsprechend der Geschäftsordnung geheim abgegeben - und da hat es sich bei der Wahl am 25. Juni 1992 erheblich gespießt. Die FP-Abgeordneten hatten nämlich - um ihre Paktfähigkeit zu beurkunden - ihre eigenen Wahlzettel mit einem "F" markiert.

Dies aber widerspricht dem Grundsatz der geheimen Wahl, weshalb Nationalratspräsident Heinz Fischer die Wahl für ungültig erklärte und nochmals abstimmen ließ. Das wurde ihm zuletzt im Präsidentschaftswahlkampf angekreidet, geändert hat es nichts: Franz Fiedler wurde gewählt. (Conrad Seidl/DER STANDARD, Printausgabe, 24.6.2004)