Über die irischen Pubs sind schon unzählig viele Geschichten erschienen, und in letzter Zeit wird die einzigartige Atmosphäre dieser „Ankerplätze der Gemütlichkeit“ zum Exportschlager. Ein geselliges Volk wie die Iren braucht eben solche Institutionen, um seinem Lebenstil Ausdruck zu verleihen, den täglichen Tratsch zu nähren, die Lokalzeitung zu ersetzen und ein bißchen „blarney“ von sich zu geben. Flunkern– diese deutsche Übersetzung ist zwar annähernd richtig, trifft aber den Kern der Sache nicht ganz. Denn „blarney“ hat immer einen wahren Kern, der sich allerdings von den Lügengespinsten, die ihn umgarnen, nicht immer trennen läßt. Und es ist auch die „Kunst der Beredsamkeit“, die jeder erhält, der den berühmten Stein im „Blarney Castle“ nahe Cork küßt. Oder ist das auch schon wieder „blarney“? Wie auch immer, in Irland braucht sich keiner Sorgen um mangelnde Kommunikation zu machen. Innerhalb zweier Jahrzehnte hat es dieses vergessene Land am Rande des Atlantiks zu wirtschaftlicher Kompetenz und zum beliebten Standort der Computerbranche gebracht. Daß kein bißchen vom Charme verloren ging, davon haben sich 1997 fünf Millionen Touristen überzeugt.

Keine Angst, das Land ist immer noch groß genug, um „sein“ Irland zu finden: weite Hochmoore, schwarz schimmernde Bergseen, immergrüne Weiden und täglich Wetter aller Jahreszeiten – ein großer Naturpark von unverfälschter Vielfalt. Das absolut Bekannteste an Irland ist wohl das „Guinness-Buch der Rekorde“, wobei sogleich die Frage auftaucht, was berühmter ist, das Buch oder das Bier? Oder ist es der Irish Coffee, die Schriftsteller Joyce, Yeates, Wilde, Beckett, die Connemara-Ponys oder irischer Folk. Etwas unbekannter sind die jungen Köche, die ihre Ausbildung in der Schweiz und Frankreich gemacht haben. Groß ist die Überraschung, wenn man romantische Landsitze zu Restaurants mit hervorragender Küche und komfortablen Gästezimmern umgebaut sieht, wo sich junge, kreative Chefs über Traditionen hinwegschwingen und mit Initiative und Können um kulinarische Freuden bemühen. In einem Land, wo Hormone in der Viehhaltung ein Fremdwort sind, Kuh wie Schaf frei auf der Weide gehalten werden, Hummer, Austern und Lachse in klarem Wasser leben, erreicht die Qualität ein Niveau, von dem wir nur mehr träumen können. Und wer erwartet sich schon lukullische Besonderheiten auf einer Insel, auf der lange Zeit die Engländer das Sagen hatten.

Der ungebremste Westwind bläst stark, oben auf den Bergrücken mitten in der Connemara, er spielt mit den Mähnen der Ponys, zerrt an den neuen, so günstig erstandenen berühmten Barbour-Regenjacken und legt das dünne Berggras in silberne Wellen. In dem steineübersäten Tal liegen die kleinen Weideflächen, von einem endlosen Labyrinth aus Steinmauern zerschnitten, so daß das ganze Land wie ein riesiges Puzzlespiel erscheint. Ganz unten, am Atlantik, einige winzige, kalkgetünchte Hütten im Sonnenlicht, weiße Zuckerwürfel auf einer grünen Tischdecke. Neben den herausgeputzten, strohgedeckten Häuschen stehen dicht beisammen graue Ruinen, Überreste eines Famine-Village, was soviel wie Hungerdorf bedeutet. Irland verlor über ein Viertel seiner Bevölkerung während der großen Hungersnot der Jahre 1845 bis 1848. Inzwischen wurde der Nachholbedarf befriedigt, und der Reisende kann sich beruhigt auf den Weg machen.

Auf den Weg machen...

Clifden im Winter wäre ein heißer Favorit, gäbe es einen Preis für das ruhigste Nest der Welt. Die Kleinstadt liegt an einem der exponiertesten Zipfel Europas, umgeben von einer endlosen Urlandschaft und dem Atlantik. Die Bucht nördlich davon ist völlig unspektakulär, ungeheuer weit, und der Atlantik ist ein Teil des Himmels oder umgekehrt.

Irland schläft um acht Uhr morgens. Nur einige Fischerboote kehren schon an die Mole zurück, um ihre Fänge auf den Markt zu bringen oder den Fischhändlern mit ihren Tiefkühl-Camions zu übergeben. Vor einigen Jahrzehnten noch war Fisch in Irland ein absolut zweitklassiges Nahrungsmittel, in diesem streng katholischen Land. Die glückliche Lage der Insel im Golfstrom, der immerwährend für unverschmutztes Wasser vor den Küsten sorgt, die fehlende Industrialisierung, vor allem an der Westküste, verschaffen diesem Land beneidenswert reine Gewässer. Die Natur dankt es mit einer Vielfalt an hervorragenden Meerestieren, deren Qualität ihresgleichen sucht.

Bei den O’Grady’s macht man zum ersten Mal Bekanntschaft mit den unvergleichlich geschmackvollen irischen Fischgerichten. Jackie, früher mal Leuchtturmwärter, führt zusammen mit seiner Frau und seinen Söhnen das gleichnamige Restaurant in der Market Street in Clifden. Über Seezunge, Heilbutt und natürlich auch Lachs steht die ganze Palette der dort heimischen Fische zur Auswahl, fangfrisch natürlich. Für den Kontinentaleuropäer ergibt das fast eine Offenbarung an Geschmack, wenn auf einmal Fische auf dem Speisezettel stehen, die nicht tagelang auf Eis gelegen sind.

Das reizende Fischerdörfchen Roundstone ist eines der bezauberndsten Fleckchen in der Connemara. Längst von Touristen entdeckt, hat es doch noch viel von seiner Ursprünglichkeit behalten. Und natürlich gibt es auch hier eine Hafenkneipe, wo man mit einheimischen Fischern ein Pint Guinness trinkt.

Kurz vor Galway, in dem kleinen Ort Moycullen gelegen, ist Drimcong House einen Besuch wert. Im Landhaus aus dem 17. Jh., umgeben von einem kleinen Park und mit einem kleinen See dahinter, kochen Gerry und Marie Galvin. Gerry holt seine Kräuter und Gemüse aus dem eigenen Garten, und wer je seinen zart gegrillten Whiting oder eine Seezunge in Citrus-Sauce gekostet hat, fragt sich, was Leute an der französischen Küche so toll finden.

Galway, die Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft, hat in den letzten Jahren ein Boom erfaßt. Das noch vor einem Jahrzehnt rettungslos verschlafene Nest, dessen einziger Konsumtempel ein Kaufhaus in der Quay Street war, gibt sich heute geschäftig.

...und herrlich essen

Ein Besuch bei Willie Moran in Kilcolgan, nur 20 km von Galway entfernt, bringt uns direkt zum Austernkönig. Willie ist in sechster Generation im Fischereigeschäft und führt eine der renommiertesten Seafood-Bars in Irland. Das eigene Austernbett vor der Haustür sorgt immer für frischen Nachschub, ausgenommen in den bekannten Monaten ohneR, denn da laicht die Ostrea edulis.

Auf dem Weg nach Süden ist der kleinen Umweg ins „Burren“-Gebiet in der Grafschaft Clare unausweichlich. Eine Landschaft, die dem Besucher nach wie vor ein Erlebnis wilder Ursprünglichkeit verspricht. An die 250km² Kalkstein, Heide und Leere dehnen sich zwischen Corcomore Abbey und dem Hochkreuz von Dysert O’Dea, zwischen Kilmacduagh und den berühmten Cliffs of Moher aus.

Ein weiter Sprung bringt uns nach Adare, einen bemerkenswerten Ort südlich von Limerick. Hier scheint sich einiges gefunden zu haben, denn man trifft auf Schloßhotel und Spitzenrestaurants. Adar Manor ist so ein Schloß mit vielen Türmchen und Zinnen, wie man es aus Dornröschen kennt. Klar, daß da ein amerikanischer Millionär schwach wurde und kurzerhand ein luxuriöses Hotel mit tollem Restaurant und 18-Loch-Golfplatz daraus machte. Vor dem Anwesen liegen an der Hauptstraße ein paar typisch irische Cottages, mit Stroh gedeckt und den rot gestrichenen Fenstern. In einem befindet sich das Mustard Seed, geführt von Dan Mullane, der als Gastgeber eine wunderbare Atmosphäre schafft. Ente, Lammnieren, eigene Chutneys gehören zu seinen Spezialitäten.

Die nördlichste der drei Halbinseln im County Kerry ist Dingle, mit atemberaubenden Steilküsten, einsamen Berglandschaften und langen Sandstränden zugleich. Die kleine Hafenstadt Dingle ist ein Dorado für Fischfans, nicht nur wegen der bunten Fischerboote, wohl mehr wegen des berühmten Restaurants Doyleis. John und Stella führen das Lokal seit 1973 und bieten irische Küche auf höchstem Niveau. Lachsfilet mit Sauerampfersauce oder gebackener Steinbutt auf Limonen-Ingwer-Sauce sind wahrliche Köstlichkeiten. Eine Vorspeisenkreation aus diesem Hause ging aber über die Grenzen von Dingle hinweg: warme Austern auf Blätterteig mit einer Guinness Sauce – die irische Offenbarung schlechthin.

Von Dingle ist’s noch ein gutes Stück nach Blarney Castle. Aber in den vielen kleinen Pubs kann man schon hören, wie sich der „Stone of Blarney“ auf die Einheimischen auswirkt: Sie machen ausgiebig davon Gebrauch. (Der Standard, Printausgabe)