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Ipolytarnóc heißt das verschlafene Örtchen an der ungarisch-slowakischen Grenze, das man erreicht, indem man im Provinzstädtchen Szécsény von der Bundesstraße Nr. 22 abbiegt und zum Schlaglochparcours Richtung Norden ansetzt. Man fährt eine halbe Stunde durch langgestreckte Straßendörfer mit nett bepflanzten Vorgärtchen und üppige Natur in einem von sanften Hügeln begrenzten Tälchen.

Ipolytarnóc klingt fast wie eine Linnésche Bezeichnung. Mit so einem Namen musste es unweigerlich zu bedeutenden naturwissenschaftlichen Leistungen kommen. Auch wenn das Örtchen auf den Straßenkarten schwer zu finden ist, auf der Landkarte der europäischen Paläontolgie nimmt es einen hervorragenden Platz ein. Begonnen hat alles mit einer uralten, versteinerten Riesentanne, die als Brücke über einen Bach fungierte. Diesem 40 Meter langen Trumm wurde um die Mitte des 19. Jahrhunderts erstmals wissenschaftliches Interesse entgegengebracht. 50 Jahre später folgten Tausende Haifischzähne, die mitten im Wald von Forstarbeitern gesammelt und als "Vogelzungen" verkauft wurden. In den 40er Jahren kam es schließlich zum Clou: Durch eine Auswaschung am Ipolyt-Bach wurde ein Teil einer Sandsteinplatte mit Fährten freigelegt. Darauf fanden sich Tausende Abdrücke von Tieren, die einen tropischen Urwald bevölkerten - Nashörner, Hyänen, Großkatzen, zahlreiche Paarhufer und Vögel - und von einem Vulkanausbruch überrascht wurden. Zeitpunkt der Tragödie: vor rund 21 Millionen Jahren. Die Steinplatten mit den Fährten von Ipolytarnòc sind seit wenigen Jahren der Öffentlichkeit zugänglich und Herzstück eines kleinen, feinen Fossilienparkes. Zu sehen sind in der überdachten Halle neben fossilen Sandsteinen auch besagte Haifischzähne. Ihr Geheimnis: Bis vor 23 Millionen Jahren war die Region Küstengebiet eines tropischen Meeres, in dem sich mindestens 26 verschiedene Haiarten tummelten.

Im Anschluss daran kann man sich mit den Geheimnissen der Trias noch am selben Gelände auf einem Waldlehrpfad mit den Wandergewohnheiten der Ungarn vertraut machen. Was unsere Nachbarn unter Wanderung verstehen, gilt hierzulande maximal als Spaziergang und kann in Turnschuhen bewältigt werden. Wegstrecke des Lehrpfades: heiße fünf Kilometer, immer hart an der Grenze zur Slowakei. Herbstliche Höhepunkte: Bäume, Bäume, Bäume, Wiesen und eine Aussichtswarte mit Blick auf die Bäume und Wiesen über der Grenze.

Als Ausflügler sind die Ungarn notorische Selbstversorger. Deshalb fehlen gemauerte Grillplätze mitten im Wald ebensowenig wie das getrocknete Holz. Nur Würstel, Brot und Senf muss man selbst mitnehmen. Falls man auf Selbstversorgung pfeift, kann man sich in Szécsény in der Pizzeria Fredi an der zentralen Kreuzung des Ortes die Pizza von den beachtlichen Abgaswerten der vorbeischnaufenden Lkw würzen lassen. Und wenn man schon einmal dort ist, sollte man sich die Franziskanerkirche ebensowenig entgehen lassen wie das barocke Schloß Forgach mit archäologischen Funden der Region.

Auf dem Rückweg nach Budapest empfehlenswert: Ein Halt im Dörfchen Hollókö, das von der nordungarischen Volksgruppe der Palozen als bewohntes Freilichtmuseum betrieben wird. Die Weitergabe von bäuerlichem Handwerk und dazu passender Lebensweise wurde immerhin auch als Weltkulturerbe gewürdigt.

© DER STANDARD, 15. Oktober 1999 Automatically processed by COMLAB NewsBench