Wiener Schauplätze, die in der Literatur beschrieben wurden: Zum Beginn der STANDARD-Serie sucht Roman David-Freihsl in der Ungargasse Spuren des Romans "Malina".
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Wien - Ob die Ungargasse im dritten Bezirk schön sei? "Nein", sagt Frau Gerti Gürtler ohne zu zögern und dann gleich noch einmal mit Bestimmtheit: "Nein. Wahnsinnig praktisch ist sie. Die Nähe zur Stadt, zu öffentlichen Verkehrsmitteln, zum Flughafen - aber schön ist die Ungargasse ganz sicher nicht."

Gürtler ist nicht alleine mit dieser Meinung - und es sind fast dieselben Worte, mit denen Ingeborg Bachmann diesen Straßenzug in ihrem Roman "Malina" beschrieb: "Noch nie hat jemand behauptet, die Ungargasse sei schön, oder die Kreuzung Invalidenstraße-Ungargasse habe ihn <>

Auf Nummer sechs wohnte die Ich-Erzählerin des Buches. Ebendieses Haus Nummer sechs gehört nun der Witwe des früheren Sacher-Besitzers Peter Gürtler. Allerdings: Tatsächlich gewohnt hat Ingeborg Bachmann in diesem Haus des "Ungargassenlandes" nie, weiß Gürtler mit Sicherheit.

Nicht nur, dass für Gürtler wie für Bachmann diese Straße nicht schön ist - man könnte fast meinen, dass der Gleichklang der Beschreibung beider Frauen etwas damit zu tun haben könnte, dass die Hausbesitzerin Gürtler wie auch Bachmann gebürtige Kärntnerin ist. Denn "praktisch" ist die Ungargasse bei Bachmann auch: "Mit kleinen Kaffeehäusern und vielen alten Gasthäusern macht sie sich nützlich . . . dazwischen gibt es eine brauchbare Neue Apotheke . . ."

Nützliches Café

So gesehen hat die Ungargasse in letzter Zeit einiges von ihrer Brauchbarkeit eingebüßt. Das Beatrixstüberl hat zugesperrt. Nützlich ist hingegen, dass an der Ecke zur Beatrixgasse ein Kopierzentrum mit Internetcafé eingezogen ist. Für manche mag das Fitnesscenter "Bewegung ist Leben" jetzt brauchbar sein.

Zugleich hat die Ungargasse hier in ihrem unteren, weit ausholenden Bogen einen ausgesprochen religiösen Charakter: Da gibt es die "Jüngergemeinschaft in der katholischen Kirche" auf Nummer drei und weiter gassenaufwärts die Bibelgesellschaft.

Ivans Löwenhaus

Genau gegenüber, auf Nummer neun, befindet sich der Sitz des evangelischen Pressedienstes. Die im Buch erwähnten Löwenköpfe an der Türe unter dieser Nummer neun - in dem Gebäude also, in dem im Buch Ivan wohnte - die sind heute noch zu sehen. Aber sie sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren. Ausgetauscht seien sie worden, erinnern sich zwei Männer vom hier wohnhaften Ungargassenurgestein.

Schräg gegenüber, wieder im Hauseingang der Nummer sechs, wird seit fast genau zwei Jahren die Erinnerung gepflegt. Die Besitzerin ließ eine Gedenktafel anbringen, auf der dem literarischen Denkmal gedacht wird: "Mein Königreich, mein Ungargassenland, das ich gehalten habe, mit meinen sterblichen Händen", ließ Gürtler aus dem Roman zitieren.

Dass Bachmann nie in einer dieser Wohnungen wohnte, aber davon schrieb, habe wohl damit zu tun, dass sie vieles in ihrem Leben verschleiern wollte, glaubt die Hausbesitzerin. Nur in einem Nebensatz hat Bachmann in "Malina" die Wahrheit versteckt: ". . . wenn ich einbiege in meinen Bezirk, von der Beatrixgasse her, in der ich früher gewohnt habe." Auf Nummer 26 war das, in den Jahren 1946 bis 1949 - und das wird an diesem Gebäude jetzt, lange nach Bachmanns Tod, ebenfalls mit einer Gedenktafel festgehalten.

Bratschenklänge

Im weitläufigen Innenhof dieses Hauses Beatrixgasse 26, den sie inzwischen "Ingeborg-Bachmann-Park" genannt haben, kann man an lauen Sommerabenden erlesener Bratschenmusik lauschen, die aus einem der Fenster heruntertönt. Doch das hat bereits nichts mehr mit Ingeborg Bachmann zu tun - sondern vielmehr damit, dass viele Musiker die Wohngegend nahe dem Dreieck Musikverein, Konzerthaus und Musikuniversität ausgesprochen praktisch finden. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD Printausgabe 17/18.7.2004)