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Typische Strandkörbe an der Nordsee

apa/dpa/Jens Büttner
Er ist aufgebracht, der junge Mann auf dem Fahrrad, verärgert und auch ein bisschen erstaunt. Zum dritten Mal kreuzt er an diesem Morgen den Platz vor dem kleinen Rathaus, doch diesmal spart er sich die Frage, die ihm auf der Zunge liegt. Nein, bedeuten ihm die älteren Herrschaften auf der Terrasse des Insel-Kaffees vor ihrem Ostfriesentee, nein, Ihr Surfbrett haben wir nicht gesehen, junger Mann.

Für einen Moment ist so etwas wie Unruhe spürbar auf Spiekeroog, der zweitkleinsten der ostfriesischen Inseln. Hier, wo Urlauber neben dem Wind auch gleich die totale Abgeschiedenheit mitbuchen und sich Touristen und Inselbewohner bereits nach wenigen Tagen beim Namen kennen, ist das Verschwinden eines Surfbretts beinahe eine Sensation. "Vielleicht ein Versehen", meint der Kellner, der trotz aufziehenden Regens gerade wieder eine der Spezialitäten des Hauses auf die Terrasse bringt, neuer Matjes nach Hausfrauenart sprich mit Speckkartoffeln. Wohin sollte das Surfbrett auch verschwinden?

Diebstähle erscheinen auf Spiekeroog beinahe ausgeschlossen, Autos zum Abtransport des Diebesguts (außer Feuerwehr- und Rettungswagen) gibt es auf der Insel keine, um auf die Fähre hinüber zum Festland, nach Neuharlingersiel, zu gelangen, muss man an den Blicken der ganzen Insel vorbei. Sprich, an jenen der etwas über 700 Einwohner und ihrer Gäste. Als Urlauber vor einiger Zeit die Zeche prellten, war das dem Inselboten einen größeren Artikel wert.

Spiekeroog, das ist ein Rückzugsgebiet inmitten des niedersächsischen Wattenmeers. Eine beschauliche Insel mit einigen Bäumen (das ist ziemlich ungewöhnlich) und ohne Flugplatz. Eine, auf der deutsche Bundespräsidenten Urlaub machen und Gäste auf einer musealen Pferdebahn über die Insel kutschieren. Lange mussten sich die Besucher sogar von einer Pferde-bespannten Lok an der ins Watt hinausgebauten Landungsbrücke abholen lassen. Erst 1981 wurde ein neuer, ortsnaher Hafen gebaggert.

Rund um den losen aber ziemlich schmucken Ortskern erstreckt sich in erster Linie unbebaute Natur. Salzwiesen im Süden, eine eindrückliche Dünenlandschaft im Osten und im Norden, wo sich auch der breite, von Strandkörben gesäumte Badestrand befindet. Der Osten ist dagegen ausschließlich Wind und Wetter vorbehalten: Auf der Ostplate, die erst in den vergangenen eineinhalb Jahrhunderten entstand, sind im Sommer selbst die Wanderwege gesperrt, damit die Brutplätze der Seevögel nicht gestört werden - und sich das Wachstum der Insel weiter ungestört vollziehen kann.

Störung, das dürfte eines der Unworte der Insel sein. Nach neun Uhr abends wird es schwierig, noch ein warmes Abendessen zu bekommen, vor zehn Uhr Morgens haben höchstens die Inselbäckereien geöffnet. Baden im Nordseewasser-Schwimmbad am Samstag früher Abend: Tut uns leid, wir haben bereits geschlossen! Selbst Fahrräder sind auf Spiekeroog nicht gern gesehen. Immerhin sind sie nicht - wie auf manchen der anderen ostfriesischen Inseln - von vornherein verboten.

Dem jungen Mann auf der Suche nach seinem Surfbrett ist das momentan aber herzlich egal. Genauso wie der Regen, der jetzt wieder auf die kleine Nordsee-Insel prasselt. Die Gäste auf der Terrasse haben sich in das Innere des Cafés verzogen, dorthin wo die Schiffe an den Wänden und die Gaslampen mit Glühbirnen von der Decke hängen. Das Surfbrett - darin ist man sich einig - wird wieder zum Vorschein kommen - genauso wie die Sonne, die ein Päuschen eingelegt hat. Das werden auch Fahrradfahrer irgendwann verstehen. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/30/7/2004)