Erster Tag

Laut Reiseführer trifft sich in der Galleria Vittorio Emanuele II quasi "tutto Milano". In Wirklichkeit versammelt sich dort eher halb Japan. Kichernde Mädchen drehen sich auf dem Boden-Mosaik eines Stieres, das soll liebesfördernde Wirkung haben, dabei fotografieren sie einander ununterbrochen. Die Galerie aus dem Jahr 1867 ist ein Palast aus Glas, Stahl, Stuck und Marmor und ein Vorläufer moderner Shopping-Malls. Im übrigen empfiehlt es sich die Brieftasche gut festzuhalten, wegen der horrenden Preise und der Taschendiebe. 200 Meter bis zum Domplatz. Santa Maria Nascente , gewaltige Ausmaße, ein Berg aus Marmor. Baubeginn 1386, Bauende theoretisch 1805, praktisch nie. Goethe fand den Dom abgeschmackt, Heine amüsierte das "Spielzeug für Riesenkinder", Burckhardt spottete über die "leere Gedankenlosigkeit einer Zuckerbäcker-Torte". Das Mischmasch von Gotik bis Jugendstil lässt Puristen erschaudern. Die Fassade ist wohl die aufwendigste Dekoration eines Platzes weltweit. Das Innere ist auch nicht gerade bescheiden, aber es herrscht eine packende Atmosphäre. Licht bricht durch bunte Scheiben, leises Murmeln, alle paar Meter ein anderer Höhepunkt kirchlicher Kunst. Und ganz rückwärts rechts, das Standbild des heiligen Bartholomäus, der seine Haut verlor. Vorläufer der "Körperwelten". Rauf auf's Dach, hier funkelt der Marmor und man ist den zahllosen Türmchen, Figuren, Fialen, Nischen und Reliefs ganz nahe, gekrönt von der goldenen Riesenstatue der Madonna. Man kann es auch einfacher haben und betritt das nahegelegenen Kaufhaus Rinascente , Ikone der faschistischen Architektur, gleichzeitig bemerkenswerter Einkaufstempel. Im obersten Stockwerk in der Cafeteria ist man den Domdach visavis. Zwei Milliarden dreihunderttausend espressi wurden 1998 getrunken, wir tun das unsere im Restaurant Nabucco (Via Fiori Chiari 10) nach einem fulminanten Mahl.

Zweiter Tag

Zuerst Kunst und Design im ländlich anmutenden Brera-Bezirk , dann Shopping, oder für uns Normalverbraucher eher Window-Shopping, im Quadrilatero della Moda rund um die Via Montenapoleone. Erfreulich, die Schuhmode wird wieder tragbarer. Natürlich pilgert jeder, der etwas auf sich hält zum Kloster Santa Maria della Grazie , wo im Refektorium Leonardo da Vincis Abendmahl, eben renoviert, zu bewundern wäre. Theoretisch, denn praktisch stehen dort immer lange Menschen-Schlangen und somit enden wir - sorry Leonardo - am Mercato Comunale , sehr schön, sehr italienisch und unglaublich kulinarisch. Man schaut, man isst, man plaudert und tätigt einige dringend notwendige Privatimporte. (DER STANDARD, Printausgabe 02/2000)