Standard: Kommt Ihnen der Streit über die Homo-Ehe gelegen? Er füllt ein Sommerloch, in dem sonst wohl ein unangenehmerer Streit über Pensionsharmonisierung stattfände.

Molterer: Die Diskussion ist da - also ist sie in der nötigen Seriosität und Differenziertheit zu führen, die derzeit fehlt: Da wird mit dem Bihänder argumentiert - und das ist nicht gut. Ich sage aber dazu, dass die Ehe aus meiner Sicht nicht antastbar ist, weil das Interesse an der Familie, am Wohl des Kindes vorgeht. Daher kann es zum Beispiel bei Adoption keine Gleichstellung geben. Aber es ist unverständlich, dass im Mietrecht das Gesetz von einer Gleichwertigkeit gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ausgeht, ein Spruch des OGH aber nicht.

Standard: Die Diskussion wird eigentlich nur von den Befürwortern "mit dem Bihänder" geführt - die Konservativen schlagen ja nicht mit gleicher Waffe zurück und sagen: "Die Ehe ist einmalig und heilig."?

Molterer: Es ist interessant, dass sich die katholische Kirche - laut Bischof Egon Kapellari - in der nächsten Bischofskonferenz damit befassen will. Aus meiner und der Sicht der ÖVP ist die Ehe nicht disponibel im Sinne von "beliebig". Was aber nicht bedeutet, dass Diskriminierung aufrechterhalten wird, ob im Mietrecht oder, was besonders unmenschlich ist, dass der Partner im Krankenhaus nichts über den Gesundheitszustand des Lebensgefährten erfahren darf. Die ÖVP wird die Aufgabe haben, Wertorientierungen zu vertreten, die vielleicht nicht unbedingt auf ungeteilte Zustimmung stoßen. Parteien müssen gewisse Werthaltungen haben. Da gilt das Motto: Fest in den Werten, modern in den Wegen.

Standard: In den letzten Jahren hat die ÖVP mit programmatischen Festlegungen nicht gerade geglänzt - ist die Ideologie in der ÖVP abgewertet worden?

Molterer: Es ist tatsächlich so, dass die ideologische Orientierung einem gewissen Pragmatismus gewichen ist - nicht nur in der ÖVP. Das hat manche Vorzüge, die man nicht leugnen soll: Da sind Gräben, die es zwischen ideologischen Lagern gegeben hat, deutlich kleiner geworden. Andererseits sind die gesellschaftspolitischen Fragestellungen wegen vielfältiger gesellschaftlicher Änderungen jetzt wieder schärfer konturiert worden. Da gibt es Nachholbedarf.

Standard: Man kann also nicht davon ausgehen, dass alle dieselben Begriffe und Werte teilen?

Molterer: Die Begriffe, die herumgeistern, werden überhaupt nicht mehr hinterfragt - zum Beispiel: "neoliberal". Neoliberalismus wird als Keule geschwungen, ohne dass jemand fragt, was das ist. Wenn ich mich richtig erinnere, war es Professor Erich Streissler, der das Bonmot geprägt hat: "Neoliberalismus ist alles, was den Roten nicht gefällt."

Für mich ist die Aufgabe der Politik, die Dinge in der Balance zu halten, zwischen Freiheit und Sicherheit, Alt und Jung, Arbeit und Kapital, Stadt und Land und so weiter.

Standard: Was gerechte Balance ist, ist aber eine Frage des Standpunkts. Der ÖVP wird ja - sogar vom Koalitionspartner - vorgeworfen, dass der ÖVP- Standpunkt einfach "schwarz einfärben" heißt, und zwar vor allem bei Posten. Wo ist die "schwarze Handschrift"?

Molterer: Die kann nicht in der Personalpolitik liegen - das hieße, die Fantasielosigkeit zum Programm zu erheben. Genau das macht die ÖVP nicht. Sondern sie zeigt ihre Handschrift, wenn es um die Rolle des Staates geht: Eine bürgerliche Regierung hat zu zeigen, dass der Staat im produzierenden Sektor nichts verloren hat. Oder sie hat für langfristige Altersvorsorge zu sorgen: Andere haben vom Drei-Säulen-Modell geredet, wir haben es geschaffen - aus der Balance heraus: Macht man nur Eigenvorsorge, überfordert man den Einzelnen, macht man nur Solidarität, überfordert man den Staat.

Standard: Sie wollen damit Pflöcke einschlagen, die auch von anderen Parlamentsmehrheiten nicht mehr so leicht zu versetzen sind?

Molterer: Ja, das ist die Absicht und auch die demokratische Legitimation: Das Land zu verändern, weil es meiner Meinung nach auch Not tut. Das war ja die Crux der großen Koalition und insbesondere der SPÖ, dass immer dann, wenn Veränderungen angestanden sind, diese verbrämt und zugedeckt wurden - 1989/ 90 war erkennbar: Es wird die Welt neu; da hat die SPÖ noch den alten Machthabern nachgehangen. Aber ein Mut zur Deklaration erscheint mir auch im Hinblick auf die Sinnsuche von vielen Leuten für angebracht. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2004)