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Czeslaw Milosz

Foto: APA/EPA/ Adam Hawalej
Wie man als polnischer Lyriker ein mit Ehren überhäufter Weltpoet wird, ohne auf die eigenen Wurzeln zu vergessen, die im Falle Milosz' noch dazu in litauischer Erde eingegraben sind: Die Geschichte eines solchen Entwicklungsganges erzählt paradoxerweise von Rückzug - vom Loslassen der Erscheinungen, von der Zurückweisung aller bloß ephemer zu nennenden Modeerscheinungen.

Czeslaw Milosz' Lyrik - der Dichter und Nobelpreisträger ist erst vor wenigen Wochen 93-jährig gestorben - hat im Verlauf von sieben Jahrzehnten eine Konzentration erfahren, die zu den großen Reduktionsleistungen der Moderne zählt. Poetische Kalküle verdampfen in dieser gebündelten Sprechweise zu ethisch begründeten Entscheidungen. Was es (noch) zu sagen gibt, darf keinesfalls in rhetorischer Verbrämung daherkommen.

Zeugnis

Man kann diese überwiegend in den letzten Lebensjahren entstandenen Gedichte sogar als konfessionell ansehen: Sie "legen Zeugnis ab", ohne dass ihr Wert allein schon im Beschwören offenbarter (oder noch zu offenbarender) Wahrheiten begründet wäre. "Nichts bleibt bestehen, doch alles bleibt bestehen: Gewaltige Beständigkeit", heißt es in der Lobschrift "An den Haselstrauch". Man könnte Milosz als Spanner eines hauchfeinen Netzes beschreiben, der die Dingwelt daraufhin anblickt, ob sie sich im Muster des konzentrierten Eingedenkens auch wirklich verfängt. Milosz' Utopie wäre es dann vielleicht, die Maschen des Netzes fallen zu sehen: "Reines, alleiniges, namenloses Schauen sein,/ Ohne Erwartungen, Ängste und Hoffnungen,/ An der Grenze, wo Ich und Nicht-Ich enden."

Irgendwo an der Schwelle zwischen Eingedenken und Verflüchtigung liegt das süße Grauen, das aus der Anerkennung der eigenen Zeitlichkeit unheilvoll empordringt. Der Tod ist für den greisen Dichter durchaus jener Skandal, der den Verlust physischer Unversehrtheit nicht verwinden hilft und die Erhaltung des "Ich" als Bedingung für das "Lob der Dinge" ausweist. Der Krakauer Poet spielt durchaus verschämt mit der Wollust des Dichtens.

Der Ritter im Harnisch der Verse

Die Betrachtung "geläufiger" Naturerscheinungen erzeugt jene Wirbel der Registratur, die etwas Schmerzliches an sich haben: "Unfassbar die Formenvielfalt der Blätter:/ wie Lanzen, wie Schwerter,/ wie Herzen, wie Schaufeln,/ wie Zungen, wie Federn,/ gekerbt und gezähnt,/ gezackt und gesägt - wer nennt es beim Namen?" Es läge ja gerade an den "Zungen", den "Federn", die genannte "Formenvielfalt" zu bezeugen. Es gehört zur Aufrichtigkeit dieser äußerlich schmucklosen Poetik, dass sie ihre Erkenntnismittel der Sphäre der Naturschönheit zuschlägt, jegliche Ziererei aber strikt von sich weist.

Im Felde der Literatur, dieses "Turniers der Buckligen", hat Czeslaw Milosz eine bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen: vom "Zagaristen" der Wilnaer Dichterzirkel hin zum murmelnden Beschwörer der Zuversicht. Doch der Ritter im Harnisch der Verse zieht es im Zweifelsfalle doch vor, sein eigener Sancho Pansa zu sein. Wer möchte, kann am Lobpreis von Papst Johannes Paul II. Anstoß nehmen: "Wenn sich die Mächte des Chaos melden,/ Und die Besitzer der Wahrheit sich in den Kirchen verschanzen,/ Und einzig die Zweifelnden gläubig bleiben,/ Erinnert Dein Porträt bei uns zu Hause jeden Tag daran,/ Was ein Mensch vermag, und wie Heiligkeit wirkt."

Kurios? Nicht, wenn man bedenkt, dass es "einzig die Zweifelnden" sind, die "gläubig bleiben". Milosz scheut das Chaos, und der modernen Lebenswelt kann er seinen dichterischen Sanctus nicht leichten Herzens geben: "Eine wehrlose Menge rennt und bringt/ Den blutigen Bildschirmen des Molochs die eigenen Kinder zum Opfer." Wie viel leichter ist da der Anblick des Papstporträts zu ertragen - um den Preis freilich, dass der Heilige Vater zum Votivbildchen herabsinkt. Ein zweifelhaftes Lob - und der blendende Ausweis einer überragenden Dichterfigur. (Ronald Pohl/ALBUM, DER STANDARD, Printausgabe, 28./29. 8.2004)