Wien - Die Fiakerkutscher auf dem Michaeler Platz rühren sich nicht. Die Hitze hat sie wie für die Ewigkeit fixiert. Dass sie schon seinerzeit von Robert Musil im "Mann ohne Eigenschaften" verewigt wurden, rührt sie auch nicht sonderlich.

Jene Begebenheit trug sich zu, als sich Ulrich und also "der Mann ohne Eigenschaften" in die Hofburg begab und dort mit der "großen vaterländischen Aktion" in Berührung kam. Dort, im Zentrum der sich schon neigenden kakanischen Macht, wurde das Einführungsschreiben aufgesetzt, das Ulrich für die "Parallelaktion" tätig werden ließ: Galt es doch dem geplanten 30-jährigen Regierungsjubiläum von Kaiser Wilhelm II. ein weit erhabeneres zum 70-jährigen Regentschaftsjahrestag des Kaisers Franz Joseph I. gegenüberzustellen.

Das fiakerverewigende Ereignis aber hatte sich schon zuvor zugetragen: "Das erste, was nun geschah, als Ulrich zur kaiserlichen Hofburg fuhr, war, dass der Wagen, der ihn dahin bringen sollte, schon im äußeren Burghof anhielt, und es begehrte der Kutscher abgelohnt zu werden, indem er behauptete, dass er zwar durchfahren, aber im inneren Hof nicht mehr stehenbleiben dürfe. Ulrich ärgerte sich über den Kutscher, den er für einen Schwindler und einen Hasenfuß hielt ... aber er blieb ohnmächtig gegenüber dessen ängstlicher Weigerung, und plötzlich fühlte er in ihr die Ausstrahlung einer Gewalt, die mächtiger war als er."

Ängstlicher Kutscher?

Ein ängstlicher Kutscher? Wir können uns nicht erinnern, dass uns je ein derartiges Exemplar auf irgendeinem Kutschbock entgegengekommen wäre.

Auf dem Michaeler Platz lungern die drei Kutscher gemütlich weiter in und an einem Fiaker. Nach kurzem Zaudern richten wir also unsere Frage an sie: Ob sie einen ängstlichen Fiaker kennen würden, das klänge doch heutzutage ein wenig unwahrscheinlich, was Musil da schreibe.

"I bin a reines Nervenbündel"

Nur einer dreht leicht und ansatzweise den Kopf in Richtung Fragesteller: "Geh bitte schau uns an: Gescheiterte Existenzen am Rande des Abgrunds." "I bin a reines Nervenbündel", stimmt ein zweiter ein. "I geh' eh scho' in Therapie", meint der Dritte: "Da bin i ganz beim Musil."

Dann dreht sich ein Kopf wieder in die andere Richtung, hin zum Ende der langen Fiakerwarteschlange: "Schau den do drüben. Der is' a Paradebeispiel, unser Nervenpackl. Der braucht zwamoi den Häuselschlüssel, bevor er amoi ausfahrt."

Eine Gewalt, die stärker ist als wir

Und irgendwie spüren wir jetzt auch etwas Ähnliches: eine Gewalt, die stärker ist als wir. Doch die Autorität des Kaisers kann das kaum mehr sein. Und dass jene Macht des neuen Staatsoberhauptes hi- nunter zu dem Kutschvolk diffundierte, mag auch nicht sein, die wäre weit nobler, väterlicher.

Wir nähern uns dem Ballhausplatz, jetzt der Amtssitz Heinz Fischers, und versuchen in das Innere der Hofburg zu gelangen, von dem Musil schrieb: "Er wurde ... über Treppen und Gänge, durch Zimmer und Säle geführt ... Er stellte fest, dass er durch ein großes Gehäuse mit wenig Inhalt gehe; die Säle waren fast unmöbliert, aber dieser leere Geschmack hatte nicht die Bitterkeit eines großen Stils ..."

Nun gibt es heute noch genau solche Gänge, Säle und Zimmer - allein: Zu ihnen vorzudringen ist nicht so einfach.

Kakanische Baustelle

Ob man oben den Gang zum Bundespräsidenten hin kurz besichtigen und fotografieren könne, fragen wir unten an. "Das geht nicht, da ist gerade Baustelle. Im Gang sitzt derzeit die Presseabteilung." Das treffe sich gut, wir seien von der Presse. "Dann nehmen S' am besten mit der Presseabteilung Kontakt auf." Ob wir da vielleicht gleich hinauf . . .? Ein mildes Lächeln ist alles, was uns da vom Beamten noch gewährt wird.

Dabei hatte er uns doch versprochen, die Hofburg öffnen zu wollen, der Kandidat, der siegreich war. (DER STANDARD, Printausgabe, 28./29.8.2004)