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Zur Person

Andreas Schnider (45), habilitierter Theologe, steirischer ÖVP-Landesgeschäftsführer, Bundesrat. 16 Jahre verheiratet, drei Kinder.

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STANDARD: Was gilt als Familie?

Schnider: All das, bei dem man sich bemüht, dass Menschen zusammenleben können und sich zueinander bekennen. Das ist auch jemand, der Kinder allein aufzieht, ein Pflege-oder Adoptivkind aufnimmt, oder wenn eine Mutter oder ein Vater mit Verwandten ein Kind erzieht. Noch vor ein paar Jahrzehnten bedeutete Familie zumindest zwei oder drei Generationen unter einem Dach. Und dann tun wir heute so, als ob Familie nur Vater, Mutter, Kind wäre!

STANDARD: Ist die Debatte um die "richtige Familie" Indiz für eine Reideologisierung?

Schnider: Ich habe den Eindruck und sehe das bei zwei Themen: Bildung und alles, was Ehe und Familie betrifft. Aber Werte entwickeln sich weiter. Die Leute wollen keine starren Ideologiekorsette. Dem müssen wir uns stellen.

STANDARD: Die VP-Spitze sichtlich ungern. Wirtschaftspolitisch experimentell, gesellschaftspolitisch verstockt?

Schnider: Ich glaube, und das will ich denen gar nicht als Böswilligkeit unterstellen, die haben ihr eigenes Lebenskonzept. Manche in unseren Reihen haben da gewisse Ängste, weil sie glauben, die Ehe könnte etwas verlieren. Dem ist nicht so. Ich bin auch dafür, bei Abstimmungen über "Lebensfragen" den Klubzwang aufzuheben. Das ist etwas anderes als die Frage, ob man einen Tunnel baut.

STANDARD: Die 90er gehörten den Singles. Jetzt tönt "Familienrhetorik". Verteidigung des Vertrauten in Krisenzeiten?

Schnider: Ich habe diesen Eindruck. Man merkt es auch an den Zahlen. Menschen suchen in Zeiten, die sie subjektiv nicht als die sichersten empfinden, Sicherheit eher in einer Gemeinschaft. Darum müssen wir neue Gemeinschaftskonzepte mehr stärken und rechtlich absichern. STANDARD: Sind die neuen Lebensformen Vorboten oder Folge eines Wertewandels?

Schnider: Der Wertewandel vollzieht sich Schritt für Schritt, aber doch sehr offen. Nur wollen manche, auch viele Politiker, es nicht wahrhaben. Ich möchte mit Martin Heidegger sagen: Man muss manchmal ver-rückt sein, eine verrückte Position einnehmen, damit man neue Perspektiven kriegt.

STANDARD: Viele in der ÖVP mögen es wohl lieber weniger verrückt als die Steirer. Warum?

Schnider: Das könnte auch in der Wende vom alten zum neuen Denken liegen. Altes Denken sagt: So ist es! Das hat etwas mit Entweder-oder, Hierarchie, Monolog zu tun. Neue Denkansätze fragen: Ist es so? Es geht um Begriffe wie Sowohl-als-auch, Beziehung, Netzwerk. Ich meine, Schüssel und Khol usw. hängen eher der alten Denkschule an.

STANDARD: Sind Sie neugierig, was Schüssel dazu denkt? Schnider: Sehr. Ich will gar nicht hören, dass alle unserer Meinung sind. Aber wir Politiker sollten auch da und dort Unruhe stiften und mutige Themen fahren. Sonst bleiben wir wirklich nur dabei nachzudenken, wo ein Tunnel oder ein Quadratmeter Asphalt mehr oder weniger hinkommt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.9.2004)