"Manche Leute haben Angst vor mir . . .": Pharoah Sanders.

Foto: Porgy & Bess
Wien - Vielleicht muss so einer wie Pharoah Sanders ja aus einem Ort mit dem Namen Little Rock kommen. Nicht weil im Hauptstädtchen von Arkansas 1957 - unter dem Schutz der Nationalgarde - die erste integrierte Highschool-Klasse eingerichtet wurde, auch nicht weil dort ein Freizeit-Saxofonkollege namens Bill Clinton seinen ersten Atemzug tat. Es ist die - scheinbare - monolithische Wucht des musikalischen Phänomens Pharoah Sanders, die das Bild des unverrückbaren Felsens provoziert, eines Felsens, der in gewaltigen Eruptionen oft zum Vulkan mutiert.

Sanders selbst hat seine Ästhetik als die einer "menschlichen Kathedrale" beschrieben, in der seine immer wieder in orgiastischen und erschreckend menschlichen Schreien gipfelnden Gedankengänge nachhallen, das spirituelle Zentrum der Hörer zum Vibrieren bringen sollen.

Eine Philosophie, die der seines Mentors John Coltrane verwandt ist: 1965 engagierte dieser den 25-jährigen Jungspund, seit 1962 in New York beheimatet, für die Aufnahme seiner epochalen Free-Jazz-Platte Ascension, von der man bereits damals sagte, mit ihr könne man an kalten Wintertagen eine Wohnung heizen.

Bis zum frühen Tod Coltranes 1967 blieb Sanders dessen saxofonistischer Widerpart. Mit dem unvermeidlichen Titel des "Kronprinzen" schien er anfangs gut zurecht zu kommen: Solowerke wie Karma (1969) mit dem halbstündigen Meisterstück The Creator Has A Master Plan, oder Thembi (1970) zeugten von einem Musiker, der seine Urkräfte in lang angelegten, psalmodierenden Steigerungen zu dosieren, in psychedelische Environments einzubetten wusste.

Dann begann der Fels zu bröckeln: Eine Schaffenskrise ließ Sanders Ende der 70er in kommerzielle Disco-Gewässer schippern. Seither ist er launisch geblieben. Können seine Konzerte an uninspirierten Tagen zum Totalausfall werden, ist er an guten tatsächlich jener glühende Klanglava speiende Koloss, dessen Intensität im Jazz wahrscheinlich nur mit der Cecil Taylors verglichen werden kann.

Bill Laswell rückte Sanders in den 90ern mit den etwas überproduzierten Alben Message from Home und Save Our Children wieder ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit. Dass "Little Rock", wie Sanders auch genannt wird, immer noch ein Fels und ein Vulkan ist, bewies er zuletzt u. a. auf Spirits (2000; Meta Records). Ob dieses Bild auch mit der aus der Distanz unnahbar wirkenden Person des heute 64-Jährigen korrespondiert? "Manche Leute haben Angst vor mir - wegen meiner Art zu spielen", sagte er einmal. "Zudem trage ich eine dunkle Brille - aber nur, weil mich die Leute dauernd ansehen. Denn in Wahrheit bin ich schüchtern." (DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.2004)