"Stern" aus Marlene Dumas' Serie zu Märty- rerinnen der Geschichte.

Foto: Bawag
Wien - Bisweilen muss man schon den Titel lesen, um recht zu empfinden. Sonst sieht man etwa nur bewegte Zweige und Blüten, die im Wind schaukeln. Endlos. Im Loop. Kaum aber dass man sich der Anleitung zur richtigen Assoziation bedient hat, erscheinen die Zweige in anderem Licht, gewinnt ihr stetiges Auf und Ab an Eindeutigkeit, wird das Wiegen rasch zum Beischlaf. Ganz so, wie Marijke van Warmerdam es haben wollte, als sie ihre pumpenden Kirschblüten Fuck getauft hat. Bei anderen ihrer Arbeiten hätte man durchaus auch von selbst auf die gründende Idee stoßen können. Etwa bei jenem Brett, an dessen einer Ecke eine kunstvoll angeschälte Zitrone montiert ist, und gegenüber ein Vogelnest. Das Werk heißt Safe and Sour.

Und beim Loop mit Landschaft und Himmel aus der Radlerperspektive verweist die ungehaltene Lenkstange dezent auf den Hintergrund: Met losse handen, freihändig, hebt da einer gen Himmel ab, um immer wieder sanft zu landen. Den Besucher freut das, er fühlt sich bei der Existenz gepackt, und der platte Symbolismus von van Warmerdams Serie vergehender Magnolien (Soon, Now, Coming up Soon) bestätigt sein Gefühl: Hier geht es um kleine und endgültige Tode in pädagogisch wertvoll abgesteckten Assoziationsräumen.

Und dann auch noch Ulrike Meinhof. Marlene Dumas hat das - auch durch Gerhard Richters Interpretation - berühmte Foto aus dem stern in ihrer kontrolliert expressiven, verwaschenen Art nachgemalt. Und, um mit einem Klassiker Bedeutung zu suggerieren, ins Jetzt geholt und zugleich der Zeitlichkeit enthoben: Im erweiterten Triptychon finden sich so neben dem Haupt der Meinhof auch der Schädel einer ermordeten Tschetschenin (der Bildtitel Alfa verweist auf jene russische Spezialeinheit beim Einsatz gegen die Tschetschenen, die die Geiselnahme in einem Moskauer Theater mit Giftgas brachial beendet hat) und jenes der heiligen Lucia.

Letztere gilt seit ihrem Märtyrertod als Schutzheilige des Lichtes und des Sehens, wurden ihr doch vor der Enthauptung die Augen ausgestochen. Als Sinn stiftendes Moment der Doppelausstellung in der Bawag Foundation hat auch Marijke van Warmerdam die Lucia-Legende interpretiert: Ein erhaben goldener Schrei gellt da aus wolkigem Himmel: Luciaaaa! (DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2004)