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Die Wiener Gerichtsmedizin hat noch in den 70er-Jahren Weltruf genossen

Foto: APA/ Institut für Gerichtliche Medizin

Gestapelte Leichen, Gutachter, die an der Institutskasse vorbei-kassierten: Die Missstände an der Gerichtsmedizin in Wien waren seit Jahren bekannt. Zuständige Politiker reagierten offiziell nicht.

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Wien - Die vom Wissenschaftsministerium angekündigten elf Millionen Euro für die Wiener Gerichtsmedizin werde man für "Sofortinvestitionen" brauchen, sagt Wolfgang Schütz, Rektor der Medizinischen Universität. Kurzfristig müssten Maßnahmen ergriffen werden, um beim Einsatz von Hightechmedizin wieder auf internationales Niveau vorzustoßen: "Wir sollten nicht mehr, wie in es bei manchen Spurenauswertungen derzeit der Fall ist, auf das FBI angewiesen zu sein", sagte Institutsleiter Manfred Hochmeister am Freitag. Immerhin habe das Haus noch in den 70er-Jahren Weltruf genossen.

Hochmeister steht dem Institut seit Anfang 2004 vor, seit die Gerichtsmedizin der Universität direkt untersteht. Der erste Leiter seit mehr als 15 Jahren: Alle vorigen Bestellungen waren an dem früheren Einspruchsrecht der Institutskonferenz gescheitert. Inzwischen, so betont der neue Chef, habe er die gröbsten Missstände beseitigt: "Wir haben den Keller ausgeräumt, die Akten geordnet und bemühen uns in Zusammenarbeit mit der Stadt Wien jetzt um eine würdige Aufbahrung der Toten."

Offizielle Reaktionen blieben bisher aus

Die Missstände waren vom Rechnungshof im Frühjahr 2003 erhoben worden. Vergangenen Herbst wurden sie via Rohbericht publik gemacht - offizielle Reaktionen aus den Ministerien blieben bisher aus. Ministerin Elisabeth Gehrer war von Dieter Böhmdorfer informiert worden und die Vorgänger im Wissenschaftsministerium müssten auch Bescheid gewusst habe.

Die breitere Öffentlichkeit erfuhr erst dieser Tage von "räumlicher Beengtheit" im Leichenhaus, sodass "teilweise zwei Leichen neben- bzw. aufeinander auf einer Liegetasse lagen". Sowie von einem Kühlfach für hoch infektiöse Tote, das "nur durch Ausräumen aller Leichen und ,Hineinklettern' gereinigt werden" konnte.

Die sanitären Zustände stünden mit dem mangelhaften Engagement von Gutachtern für ihre Arbeit am Institut in Zusammenhang, betont der Rechnungshof. Schon in den 1990er-Jahren habe eine Expertise von der "Verselbständigung" einzelner Sachverständiger gesprochen. Die Experten "erhielten die Gutachtenaufträge direkt und behielten fast das gesamte Sachverständigenhonorar". Der Rechnungshof empfiehlt Nachverrechnung.

Rückzahlungen

Ein Vorschlag, den - wie DER STANDARD berichtete - die Universität jetzt in die Tat umsetzt. "Zwischen 600.000 und 700.000 Euro" an Rückzahlungen, so Schütz, müssten die am Institut arbeitenden Gutachter vergegenwärtigen. Die Regressforderung wird auf der Basis von deren Einkommensteuererklärungen errechnet.

Die Bezahlung der Wiener Gerichtsmediziner nämlich war jahrelang an den Institutskassen vorbei über eine eigens gegründete Gesellschaft öffentlichen Rechts abgewickelt worden. Ende 2003 wurde diese Gesellschaft aufgelöst.

Für die Zukunft urgiert die Universität eine Novelle der Strafprozessordnung, wonach die Beauftragung von Gutachtern nur über die Institutsleitung möglich sein soll. Sehr zum Missfallen der Experten, die vor einer "Monopolstellung" der Universitäten warnen. Die Staatsanwaltschaft prüft die Causa.(Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 11/12.9.2004)