Andere Menschen kaufen sich Dinge, weil sie mit ihnen leben möchten. Mathias Schneider kauft Sofas, Gemälde, Lampen, Kommoden, um sie zu verkaufen. Allerdings nicht, ohne vorher mit ihnen gelebt zu haben: Der 44-jährige Hamburger wohnt in einem Showroom. Alles in seinem Haus ist käuflich, na ja, fast alles. Die Bücher beispielsweise nicht, ein kleiner, silberner Aschenbecher nicht, ein Familienfoto nicht. "Alles, woran mein Herz hängt, passt in vier Koffer", sagt Schneider.

Das ist nicht viel angesichts der voll gestellten 330 Quadratmeter, die er in einer Gründerzeitvilla im schicken Hamburger Stadtteil Pöseldorf bewohnt. Das ganze Jahr über stöbert der Inneneinrichter auf Auktionen, Flohmärkten oder bei jungen Firmen neues Interieur auf, vieles aus Frankreich und Italien, manches aus den USA oder Dänemark. Zusammen kommen dann etwa Riesenschnecken-Gehäuse oder ein ausgestopfter Steinbockkopf ebenso wie pompöse Kronleuchter oder klassische Kerzenhalter in Silber. Der Stil: edel-gediegen, eher schwer als leicht, viel dunkles Holz, viel satte Farbe. Alles bleibt so lange am Platze, bis ein Kunde durch die privaten Gemächer Schneiders pilgert und sagt: "Das will ich haben."

Im Schnitt laufen pro Woche fünf bis sechs neue Kunden durchs Haus - wovon sich Schneider nicht stören lässt: "Ich renne den Leuten nicht hinterher. Schließlich ist das hier kein richtiges Geschäft, und ich bin kein Verkäufer." Einmal im Jahr aber kommt richtig Bewegung in den Wohnladen: Alles wird neu, sagt Schneider, und bei seinen Worten ist es, als tönte ein Song der Berliner Popband Element of Crime im Raum: "Der ganze alte Schrott muss raus, und neuer Schrott muss rein, bis morgen muss der ganze Rotz verschwunden sein." So ähnlich muss es sein, wenn Schneider im Herbst das gesamte Haus verändert. Die Wände werden neu gestrichen und natürlich auch neue Möbel aufgestellt.

"So wenig eigenen Besitz zu haben, macht unheimlich frei."

Warum jemand so etwas macht? "Ich hatte vor Jahren keine Lust mehr auf einen Bürojob, sondern wollte nur noch tun, was mir Spaß macht: Häuser einrichten. Aber ich wollte auch nicht den x-ten Laden in Hamburg eröffnen, um Sofas zu verhökern", erklärt Schneider. Sein jetziger Lebenswandel begeistert den gebürtigen Kieler, der schon zu Studienzeiten im Einjahresrhythmus seine Wohnungen wechselte: "So wenig eigenen Besitz zu haben, macht unheimlich frei." Momentan tragen die Wände der Villa ein dunkles Rot, dazu hat Schneider im Wohnzimmer ein hellgrünes Sofa mit goldenen Drachen aufgestellt, nebst Gemälden mit einem chinesischen Paar.

"Eigentlich wollte ich das Haus komplett im Asien-Stil einrichten", sagt Schneider und fügt lachend hinzu: "Aber dann habe ich gemerkt: Das halte ich nicht einmal in einem Zimmer durch." Von Wohnkonzepten hält der Autodidakt ohnehin nichts. Der gelernte Betriebswirt kauft die Möbel und Deko-Degenstände einfach nach Gefühl. Klar bezieht er aus Wohnzeitschriften Ideen, oft aber auch nur die Adressen der Hersteller. Schlecht fährt er nicht mit dieser "gesunden Unbildung", wie er kokettiert: Seit acht Jahren lebt Schneider davon, richtet gut betuchten Kunden Häuser auf Long Island oder Sylt, in Lugano, Kapstadt oder Hamburg ein. Eine Regel beherzigt er aber doch: Kein Weiß an den Wänden! Immer wählt er dunkle Farben, demnächst wird das Weinrot durch ein herbstliches Braun ersetzt werden. Sogar vor Schwarz schreckte Mathias Schneider nicht zurück: "Damit haben die Räume sogar am größten gewirkt", - ist bei Deckenhöhen unter vier Meter aber nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen.

Architekten hassen natürlich einen Laien wie ihn, der nicht einmal zeichnen kann. "Und auch manche Handwerker, die meine Ideen in Kundenhäusern ausführen müssen, sind erst einmal skeptisch", berichtet Schneider. Kein Wunder, wenn in einem halb fertigen Neubau ein Mann im vornehmen Anzug, mit Lederweste, Einstecktuch und Siegelring wie Mathias Schneider vor ihnen steht, der aussieht, als käme er gerade von einem gepflegten hanseatischen Cocktailempfang. "Aber letztlich klappt es immer", weiß Schneider und berichtet mit feinem Lächeln, wie er bei seinen Kunden nicht nur als Einrichter, sondern auch als Hobbypsychologe gebraucht wird: "Ich glätte die Wellen zwischen den Ehepartnern." Die aber sollen, sagt Schneider, am Ende das Gefühl haben, selbst auf die Ideen fürs Interieur gekommen zu sein, und sich fragen: "Wozu haben wir den Schneider eigentlich gebraucht?" Offen spricht das natürlich niemand aus. Im Gegenteil: Viele Kunden betreten immer wieder ungeniert seinen Wohnladen, um zu plaudern. Manche geben ihre Kinder, manche ihre Hunde für ein paar Stunden zum Aufpassen ab. Schneider macht alles mit. Er selbst wäre allerdings sein schlechtester Kunde: "Ich hätte viel zu viel Schwellenangst, einfach so in ein Privathaus hineinzugehen." (DERSTANDARD/rondo/Mareike Müller/17/09/04)