Wien - Die Zahl der Invaliditätspensionen ist im August erstmals über die Marke von 400.000 gestiegen. Das geht aus aktuellen Zahlen des Hauptverbands der Sozialversicherungsträger hervor. Im August 2003 war die Zahl noch bei knapp weniger als 385.000 gelegen. Der verstärkte Andrang zur Invaliditätspension lässt sich auch anhand der Antragsstatistik der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) hervor.

Vor fünf Jahren war der Anteil der Anträge auf Invaliditätspensionen an allen Anträgen auf Eigenpension noch bei rund 36 Prozent gelegen, nunmehr sind es bereits 55 Prozent.

"Großzügige Regelung"

Kritik an der "großzügigen" Regelung in Österreich kam vom Arbeitsrechtler Wolfgang Mazal: Der Invaliditätsbegriff berücksichtige nicht die "vielfältigen Veränderungen der Arbeitswelt", die das auch Erlernen anderer Berufe trotz Gesundheitsschäden zumutbar machen würden. Es stelle sich die Frage, wie lange man sich diese Großzügigkeit noch leisten könne.

Der Vorsitzende der Pensionsreform-Kommission, Theodor Tomandl, sprach sich für eine Teilpension bei jenen aus, die zwar heute für eine Invaliditätspension in Frage kommen, aber noch weiter arbeiten könnten. Man müsse schon überlegen, so Tomandl, "ob wir heute bei der Zuerkennung der Invaliditätspension richtig vorgehen. Da gibt es in der Tat Merkwürdigkeiten". Eine Änderung könnte dahingehend geschehen, dass jene, die weiter arbeiten können, erheblich weniger verdienen als vorher, aber "dieser Verlust wird durch eine Teilpension ausgeglichen".

Haupt gegen Verschärfung

Sozialminister Herbert Haupt (F) sprach sich hingegen klar gegen härtere Zugangsbestimmungen zur Invaliditätspension aus. "Für mich kommt eine Verschärfung im Invaliditätsrecht überhaupt nicht in Frage", deponiert Haupt per Aussendung. Auch Wirtschaftsminister Martin Bartenstein (V) hatte die Invaliditätspension im Juli als "überprüfungsbedürftig" bezeichnet.

Haupt: "Undenkbar"

Haupt meint dagegen, man dürfe Menschen, "die ihr ganzes Leben hart gearbeitet haben und nun dafür mit ihrer Gesundheit einen hohen Preis bezahlen" nicht noch zusätzlich das Leben erschweren. Erst 2001 habe die Regierung auf Initiative der FPÖ die Zugangsbedingungen zur Invaliditätspension für Menschen ohne Berufsschutz und für Hilfsarbeiter erleichtert. Eine Verschärfung sei "undenkbar und kein Diskussionsgegenstand", meint Haupt.

Molterer: Evaluation, aber keine Reform

Auch ÖVP-Klubobmann Wilhelm Molterer stellte in der "Presse" klar, dass die Invaliditätspensionen zwar durchleuchtet und evaluiert werden solle, eine Reform sei aber nicht geplant. Molterer meinte, es werde "genau zu schauen sein, welche Anträge tatsächlich gerechtfertigt sind". Die Menschen sollten zweifelsfrei wegen Invalidität früher in Pension gehen können. "Aber es darf kein Schlupfloch werden", betonte der ÖVP-Klubobmann.

Lapp: Gesundheitliche Bedingungen verbessern

SPÖ-Behindertensprecherin Christine Lapp meinte, der Run auf die Invaliditätspension sei der "Notausgang für kranke Arbeitnehmer". Sie forderte, die gesundheitlichen Bedingungen am Arbeitsplatz zu verbessern, damit die Arbeitnehmer lange ohne Beeinträchtigungen in der Arbeitswelt verbleiben können. Menschen, die Anträge auf Invaliditätspension stellen, seien "keine Müßiggänger", Bartenstein immer wieder in den Raum stelle, "sondern kranke oder behinderte Menschen, die arbeiten und auf Grund ihrer schlechten Gesundheit durch gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen den Weg in die Pension suchen."

Vorzeitige Alterspension ausgelaufen

Zwischen 1998 und 2002 war die Zahl der Invaliditätspensionen immer zwischen 375.000 und 385.000 geschwankt. In der zweiten Hälfte 2003 hat dann ein stetiger Anstieg begonnen, im August war die Zahl von 400.411 erreicht. Im Hauptverband geht man davon aus, dass der Anstieg der Invaliditätspensionen auch damit zu erklären ist, dass die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Erwerbsfähigkeit ausgelaufen ist.

Anstieg seit 1999 spürbar

Bei den Anträgen ist der Anstieg bereits seit 1999 spürbar. 2002 wurden erstmals mehr Anträge auf Invaliditäts- oder Berufsunfähigkeitspension gestellt als Anträge auf andere Pensionsarten. Im Vorjahr betrug der Anteil der Invaliditätspensionen - so wie auch in den bisherigen Monaten des Jahres 2004 - etwa 55 Prozent.

Prüfung dauert im Schnitt viereinhalb Monate

Dass ein Antrag gestellt wird, heißt freilich noch lange nicht, dass eine Invaliditätspension auch tatsächlich zuerkannt wird. Die Anträge werden zuerst geprüft. Wie lange diese Prüfung dauert, ist laut PVA-Sprecher Johannes Pundy "individuell sehr verschieden" und ist abhängig etwa vom Krankheitsbild der oder des Betroffenen und der Zahl der benötigen Gutachter.

Im Schnitt dauere die Prüfung jedenfalls rund viereinhalb Monate. Antragsteller, die bei der PVA nicht durchkommen, können beim Arbeitsgerict gegen die Entscheidung klagen. Meist werde dabei die Entscheidung der PVA bestätigt: "Es ist nicht so, dass wir so beinhart beurteilen, wie oft gesagt wird."

Anerkannt wurden zuletzt rund 40 Prozent der Anträge. Derartige Werte waren auch Anfang der neunziger Jahre üblich. Im Jahr 2000 war die Zuerkennungsquote - gemessen an an der Zahl der erledigten Anträge - auf knapp 33 Prozent gesunken. (APA)