Die Natur stellt keine Fragen. Sie ist einfach da. Der Designer Ross Lovegrove stellt eine Menge Fragen. An die Natur. Da ist zum Beispiel die Libelle. Oder der Fall des Wassers. Das Ei, die Bienenwabe, der Tropfen, das Astloch, die Zellstruktur eines Knochens, ein Korallenriff. Alles hält her für Lovegroves Design, das von Naturgeschichten berichtet. Er zerlegt Strukturen, denkt sie um, macht sie seinen Objekten gefügig und erzählt sie neu.
Wie das geht und aussieht, zeigt ein wahrlich prächtiges Buch, das vor kurzem unter dem Titel "Supernatural - The work of Ross Lovegrove" im Phaidon Verlag erschienen ist, der sich mit dieser Publikation alles andere als eine halbe Sache erlaubt. Lovegrove, der zu Beginn seiner Karriere vor über 20 Jahren als Pate des "neuen" britischen Designs in die Szene eingeführt wurde, zeigt auf gut 240 Seiten, was er warum von Mutter Natur abgekupfert hat.

Foto: John Ross/Phaidon

Natürlich kommen dabei so alltägliche Dinge wie Thermoskannen, Fahrräder, Flakons, allerlei Möbel und sonstige Gebrauchsobjekte heraus. Verblüffend bleibt jedoch, wie sehr sich diese zumindest formal mehr oder weniger ihren natürlichen Paten annähern. Lovegrove fungiert dabei als Vermittler, als Formbiologe oder als "Bio-Logiker", wie er auch ganz gern genannt wird. Nicht, dass es in der Natur keine Kanten und Ecken gäbe, aber eben nur dort, wo sie ihren Zweck erfüllen. Und diesem Zweck ist der Designer mit seinem Studio in London auf den Fersen. Aber mehr noch. Lovegrove, dem man nachsagt, er sei mit Schmirgelpapier an den Fingern geboren worden, will Verbündeter und Beschützer seiner organischen Musen sein: Der 1958 in Wales geborene Gestalter und Absolvent des Londoner Royal College of Art gilt längst als Vorkämpfer für die intensive Miteinbeziehung ökologischer Gedanken in die Produktphilosophie.

Foto: John Ross/Phaidon

Die Zukunft des Autos, die Fürsorge um den Schatz Wasser, alternative Energieformen sind tragende Mauern seiner Formenwerkstatt. In der Heranziehung von Kunststoffen als Werkmaterial sieht Lovegrove keinen Widerspruch. Es gehe halt um einen verantwortungsvollen Einsatz.
Das Buch beeindruckt durch anspruchsvolle Machart. Schon der Einband, den ein reliefartig gedrucktes Abbild seiner Wendeltreppe, der die DNA-Struktur zugrunde liegt, zeigt, dass man hier etwas ganz Feines in Händen hält. Das großzügige Layout und die gut 300 Fotos heben die Produkte, die der Designer für Apple, Philips, Moroso, Sony, Hermann Miller und unzählige andere gestaltet hat, von bloßen Gebrauchsgegenständen ab. Ganz zu schweigen von den klaren (englischen) Worten, die für dieses Schmuckstück in Sachen Designliteratur bestellt wurden. Über Lovegrove geschrieben und nachgedacht haben unter anderem Paola Antonelli vom New Yorker Museum of Modern Art, Gestalter Greg Lynn oder Werkstoff-Guru Adriaan Beukers von der Universität Delft.

Foto: John Ross/Phaidon

Vor allem aber kommt der Designer zwischen einer gut gestreuten Auswahl an Zitaten zu Wort. Er erzählt von Materialien und Formen, von einem Gewurl der Emotionen, vom Sinn der Dinge und erklärt seine Vorstellung von der Essenz des Organischen, die er versucht aus allerlei Wesen herauszukitzeln, um sie in seine Formensprache zu übersetzen. (DERSTANDARD/rondo/Michael Hausenblas/17/09/04)
Ross Lovegrove, Paola Antonelli: Supernatural:
The Work of Ross Lovegrove
Verlag Phaidon. € 69,95
phaidon.com

Foto: John Ross/Phaidon