Sven Regener - Kultfigur mit seiner Band Element of Crime und Autor einer Kultfigur.

Zur Person

Sven Regener, geboren 1961, wuchs wie sein gleichaltriger Held in der Neuen Vahr Süd auf, einer Bremer Neubausiedlung. Später ging Regener nach Berlin, wo er im März 1985 die auf melancholische Großstadtweisen abonnierte Band Element of Crime mitbegründete, die mit Alben wie Damals hinterm Mond und Weißes Papier bekannt wurde.

Sven Regener ist Sänger, Texter und Trompeter der Gruppe. 2001 erschien sein Roman Herr Lehmann, der schnell zum Kultbuch avancierte und in der Regie von Leander Haußmann verfilmt wurde. (cia)

Foto: Element of crime/Pressefoto

Sven Regener:
Neue Vahr Süd.
550 Seiten, Eichborn, € 24,90.
Oder als Hörbuch, gelesen von Sven Regener selbst: Erschienen bei Roof Music, € 49,90.

Foto: Eichborn
Herr Lehmann ist zurück - und verjüngt: In seinem zweiten Roman beschreibt Sven Regener die Lehrjahre der Kultfigur - bei der Bundeswehr und im titelgebenden Bremer Vorort "Neue Vahr Süd". Mit dem Musiker und Autor sprach Bert Rebhandl.


STANDARD: Herr Regener, in der Kinosprache würde man sagen, Sie haben mit Neue Vahr Süd ein Prequel zu Herr Lehmann geschrieben. Warum keine Fortsetzung, keinen Wiedervereinigungsroman?
Regener: Das war alles schon lange geplant. In Herr Lehmann gab es ja bereits Andeutungen an diesen Bruder, der durch die Gespräche geistert. Er ist ein Abwesender, der Herrn Lehmann stark beeindruckt hat. Ich hatte immer drei Bücher geplant: dieses, das jetzt Neue Vahr Süd heißt; dann ein anschließendes, das noch geschrieben werden müsste und die Ankunft in Berlin erzählt, als Frank Lehmann seinen Bruder aufsucht; und schließlich Herr Lehmann, das neun Jahre später spielt.

Nun habe ich den dritten Teil zuerst geschrieben. Ich habe die Szene mit dem Hund am Lausitzer Platz, mit der Herr Lehmann beginnt, 1991 geschrieben, und sie neun Jahre nicht veröffentlicht. Ich wusste aber, mit dieser Figur könnte man etwas machen.

Das Konzept mit den drei Büchern habe ich bei Herr Lehmann natürlich nicht an die große Glocke gehängt, ich wusste ja nicht, ob ich das überhaupt kann. Denn Neue Vahr Süd ist schon eine schwierigere Geschichte, mit diesen zwei völlig unterschiedlichen Welten. . .

STANDARD: . . . der Bundeswehr und der studentischen Verweigererkultur in Bremen anno 1980. . .
Regener: . . . man muss sich auf beide voll einlassen, was vom Umfang her neue Anforderungen stellt. Bei Herr Lehmann sind die Angriffsflächen der Komik viel leichter, weil der Widerspruch zwischen dem, was er denkt, also zwischen seinen Vorurteilen und dem was dann passiert, ein Ansatz für Komik ist. Hier ist er noch jung, noch völlig verwirrt und unausgeprägt.

STANDARD: Er steht am Anfang eines Entwicklungsromans, der ausgerechnet bei der Bundeswehr stattfindet.
Regener: Diese Vorgeschichte wusste ich schon lange. Er sagt es ja auch zu der Köchin in Herr Lehmann: So schlau war ich nicht, wegen der Bundeswehr nach Berlin zu kommen. Er hat den ganzen Quatsch vorher noch gemacht.

STANDARD: Wieviel Autobiografie steckt in den Büchern?
Regener: In diesen ganzen Dingen kenne ich mich schon aus. Der Mann kommt aus Bremen, weil ich auch aus Bremen komme. Ich habe eigentlich nur lange in Bremen gelebt, und lange in Berlin. Es ist schon wichtig, dass man eine Sicherheit bei den Umständen hat.

STANDARD: Die jüngeren deutschen Literaten, zu denen Sie gezählt werden, unterhalten ein sehr ironisches Verhältnis zu ihrer westdeutschen Geschichte.
Regener: Ich sehe Neue Vahr Süd gar nicht als ein ironisches Buch. Ein komisches, ja. Aber es geht nicht um Distanz. Es ist auch kein Buch über die Bundeswehr oder über das Jahr 1980. Es ist ein Buch über die Person. Es gibt auch keine gültige Aussage. Es gibt da nichts zu beschönigen, weder an den K-Gruppen der Siebzigerjahre noch am Leben eines neunzehnjährigen Halbhippies aus einem Bremer Neubauviertel namens Neue Vahr Süd. Ich persönlich finde das eine sehr traurige Geschichte, die man anders, als dass man die komischen Dinge auch erzählt, gar nicht ertragen würde. Das ist doch eigentlich alles viel zu fies.

STANDARD: Warum ist das Buch doppelt so lange geworden wie der Vorgänger?
Regener: Mehr Handlung, mehr Schauplätze, mehr Welten! Herr Lehmann lebt in einer geschlossenen Welt. Das ist völlig normal. Er wird herausgeschleudert und findet sich in zwei Parallelwelten. Wobei man feststellt, dass die Verweigerernummer auch nicht seine Sache ist. Er passt da nirgendwo hin, das hat mit seiner Persönlichkeit zu tun

STANDARD: In den Songs Ihrer Band Element of Crime müssen Sie sich kürzer fassen.
Regener: Da sehe ich gar keinen Zusammenhang. Man kann die Songs von Element of Crime total mögen und Herr Lehmann doof finden.

STANDARD: Kann man das Problem, als Popmusiker zu altern, durch Literatur lösen?
Regener: Element of Crime war von vornherein keine Boygroup. "The sweet bird of youth" war schon weg, als wir die Band gegründet haben. Natürlich passen wir auf, dass wir keinen Alte-Säcke-Rock machen. Musik hat kein Problem mit dem Altern. Udo Jürgens wird auch in den Stiefeln sterben.

STANDARD: Ihre Bücher werden als komisch empfunden, die Musik als melancholisch.
Regener: Da könnte was dran sein. Die Musik wird oft als traurig empfunden, auch wenn ein Lied eigentlich sehr komisch ist. Die Musik ist vielleicht die melancholische Kunst, weil sie so flüchtig ist. Die ganze Idee von Vergänglichkeit ist der Musik so was von eingebaut - dieses Abstrakte, Unstoffliche.

STANDARD: Element of Crime zählen zu den Bands, die Berlin erst urban gemacht haben, anders als Ihr epischer Protagonist, der in Kreuzberg lebt wie in einer Kleinstadt.
Regener: Als wir anfingen, wurden wir viel mit Velvet Underground verglichen. Allerdings, was nun diese ganze Avantgardenummer in Berlin in den Achtzigerjahren anlangt: ob das nun so unprovinziell war?

STANDARD: Pop und Literatur haben in Deutschland auch abseits der Popliteratur viel miteinander zu tun: Thomas Meinecke schreibt Theorieromane und betreibt die Band FSK. Rainald Goetz hat Suhrkamp mit der Love Parade versöhnt. Marcel Beyer ist Experte für Dub. Blumfeld und Tocotronic machen Diskurspop.
Regener: Das war aber nie unser Ding. Element of Crime hatten diesen Diskurspopanspruch, wie ihn Blumfeld vertreten, nicht. Wir hatten auch nie die eine Szene, die mit einem bestimmten Kleidungsstil verbunden war, und eine bestimmte Form von jugendlicher Schönheit kultiviert hat.

STANDARD: Mit Herr Lehmann sind Sie in ein noch größeres Bezugssystem geraten: den deutschen Film. Regener: Ich habe das irgendwann gar nicht mehr in Beziehung gesetzt, mein Buch und den Film. Obwohl ich das Drehbuch geschrieben habe. Christian Ulmen ist gut, aber Herrn Lehmanns fiese Seite, die Sacktreterseite, fehlt ein wenig. In Neue Vahr Süd kommt die jetzt noch viel mehr raus. (DER STANDARD, Printausgabe, 21.9.2004)