Die Arbeit vor dem Parlament - eine riesige Baustelle - kann man gut sehen - jene der Politiker in den Ausschüssen üblicherweise nicht.

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Beschlossen wird voraussichtlich nichts in dieser Sitzung: Über die nächsten Gesetzesvorlagen der schwarz-blauen Koalition muss noch mehr oder weniger ausführlich beraten werden, bevor das Pensionsgesetz, die Gentechnikgesetznovelle oder die Zivilverfahrensnovelle verabschiedet werden können.

Fix ist vorläufig nur eines: Drei Stunden lang - so lange der ORF die Sitzung überträgt - werden am Mittwoch die Reihen der Abgeordneten ziemlich voll sein. Wenn sie sich wie üblich leeren, nachdem die Kameras abgeschaltet werden, dann ist es diesmal keine Missachtung der parlamentarischen Plenarberatung, sondern eine geplante Mittagspause - erstmals bekommen die 183 Abgeordneten in der Zeit von 13 bis 13.30 Uhr offiziell frei. Das soll peinliche Bilder verhindern, falls doch noch eine Kamera weiterläuft.

Und wenn der eine oder andere Hinterbänkler die Mittagspause ein wenig ausdehnt, dann wird es dafür gute Gründe geben. Schließlich ist parlamentarischer Alltag nicht nur die - gerade bei Fernsehübertragungen - öffentlichkeitswirksame Teilnahme an den so genannten Haussitzungen.

Die Parlamentsdirektion hat penibel nachgerechnet, wie viel die Abgeordneten in der letzten Tagung - dieser Begriff umfasst alle parlamentarischen Aktivitäten zwischen der Tagungseröffnung im Herbst und dem Beginn der Parlamentsferien im darauf folgenden Sommer - gearbeitet haben: 43 Plenarsitzungen mit einer Gesamtdauer von 274 Sunden und 3 Minuten fanden im Plenum statt, dazu kamen 125 Ausschusssitzungen und 45 Sitzungen von Unterausschüssen.

Diese Ausschussarbeit wird nur selten bedankt, auch wenn hier das eigentliche Feilen an den Gesetzesmaterien passiert: Spezialisten, die während der meisten Nationalratssitzungen irgendwo im Hintergrund des Plenarsaales Akten oder auch Zeitungen studieren, haben hier ihr eigentliches Arbeitsfeld. Wie weit sich die oft zähen Verhandlungen im letztlich beschlossenen Gesetzestext niederschlagen, fällt eigentlich nur bei strittigen Materien - zuletzt beim Tierschutzgesetz, das im Ausschuss in vielen Passagen umgeschrieben wurde - wirklich auf.

Bauernvertreter und Gewerkschafter, Beamte und Wirtschaftstreibende - die meisten Abgeordneten haben solche Zweitberufe - einigen sich dann auf diese oder jene Formulierung. Und dürfen sich in der anschließenden Plenarsitzung dann eher ausnahmsweise zu Wort melden, um ihrer eigentlichen Klientel öffentlich einen Erfolg zu vermelden.

Wobei diese Erfolge vor allem für die Abgeordneten der Opposition rarer geworden sind: Nur sechs von zehn Gesetzesbeschlüssen der Tagung 2003/04 waren einstimmig. Der Vergleich mit früheren Arbeitsperioden zeigt, dass die Arbeit mehr, die Einigkeit aber geringer geworden ist. So wurden während der ersten Phase der Minderheits- und Alleinregierung Kreisky I + II (1970-1975) jeweils 85 Prozent der Gesetze einstimmig beschlossen und noch am Ende der Kreisky-Jahre (1979- 1983) immerhin 75 Prozent.

Allein im letzten Jahr beschlossen die Abgeordneten 139 Gesetze, von denen sie wahrscheinlich den Großteil inzwischen wieder vergessen haben, falls sie nicht unmittelbar daran mitverhandelt haben. Dazu kamen 63 Staatsverträge sowie drei Vereinbarungen mit den Bundesländern.

Dabei ist nicht einmal alles parlamentarische Material bis zur Aufmerksamkeit des Nationalratsplenums gereift: In den Ausschüssen wurden 37 Berichte der Bundesregierung durch Kenntnisnahme "enderledigt" - das bedeutet, dass eine öffentliche Debatte verhindert wurde. Das mag einen Hinterbänkler aufregen - ändern können es meist nur die, die auf die vorderen Plätze aufgerückt sind. Lesen Sie ab heute in einer Kurzserie vom Leben und der Arbeit der Frauen und Männer in den hinteren Reihen. (Conrad Seidl/DER STANDARD, Printausgabe, 22.9.2004)