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Bild: APA/Schlager
Pausenlärm. Wir betreten ein weißes, unauffälliges Gebäude inmitten des 15. Bezirks. Geleitet von der Sekretärin kommen wir in eine sechste Klasse, deren Schüler dabei sind, "Macbeth" zu lesen. Ein alltägliches Bild mit einem Unterschied: Die meisten Mädchen tragen Kopftücher, denn wir befinden uns im Islamischen Gymnasium Wien (IGW), einer konfessionellen Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht.

Die Unterrichtssprache ist Deutsch, zusätzlich wird aber Unterricht in Arabisch und Türkisch sowie islamischer Religionsunterricht angeboten. Etwas schüchtern und zurückhaltend beginnen die Jugendlichen, auf unsere Fragen bezüglich eines EU-Beitritts der Türkei zu antworten. Schnell sind sich die Schüler einig: Für sie, die in Österreich leben, werde sich im Falle dessen nichts ändern. "Unseren Verwandten in der Türkei würde es aber durch einen Beitritt besser gehen."

Viele Meinungen

Im Innenhof der Schule treffen wir auf Schulsprecherin Emine Sagdic (17). "Ich bin gegen den Beitritt der Türkei zur EU, sie gehört nicht zum christlich geprägten Europa", erklärt sie. "Die Meinungen der Schüler gehen auseinander, besonders viel darüber geredet wird aber nicht." Mankos in der Kommunikation bezüglich der Türkei-EU-Frage stellt auch Carla Amina Baghajati von der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich fest. "Der Dialog der Kulturen darf nicht nur an der Oberfläche stattfinden, sondern muss auch praktisch und beidseitig erfolgen. Viele Impulse können dadurch gegeben werden," sagt sie zum SchülerStandard.

Von positiven Auswirkungen spricht auch Jürgen Stöttinger von der VP-nahen Schülerunion: "Beitrittsverhandlungen wirken wissensfördernd aufgrund der Beschäftigung mit der anderen Kultur. Das bringt eine Verbesserung der Stimmung und eine Annäherung." Als unvereinbar sieht Johann Gudenus vom Ring Freiheitlicher Jugend das christliche Europa und den trotz Laizismus in der Türkei dominanten Islam: "Der Gedanke ist, dass beim Beitritt die Türkei europäisiert wird. Es wird aber eher Europa islamisiert werden", meint er im Schüler Standard-Gespräch. Ein weiteres Gegenargument stellt für ihn die geografische Lage der Türkei dar. Anders argumentiert Julian (17): "Die Türkei liegt zwar größtenteils in Asien, Grund für eine Beitrittsverweigerung ist das aber noch lange nicht."

Der Direktor des IGW, Ludwig Sommer, spricht von der Türkei als wirtschaftlich und militärisch unsicheres Land, vor allem wegen der Grenze zum Irak. Er ist allerdings "gefühlsmäßig" für ein Ja zum Beitritt, der für ihn aber noch nicht das Primäre darstellt. "Wichtiger ist, dass Bereitschaft zu Verhandlungen auf beiden Seiten gegeben ist." Anders argumentiert Simon (16) aus Wien: "Ich bin für einen EU-Beitritt, weil die Türkei Vorbild für andere muslimisch geprägte Staaten wäre." Er meint aber, dass das Land derzeit noch nicht reif ist, beizutreten: "Es müssen noch Veränderungen in Gesetzen und Verfassung eintreten." Doch auch in Österreich bedürfe es noch Änderungen, meint Florian Steininger von der SP-nahen Aktion kritischer Schüler: "Die Migrantenverteilung an österreichischen Schulen ist ungleich", kritisiert er im Gespräch mit dem SchülerStandard. Ausländer würden allzu oft nach dem Motto "Die können eh kein Deutsch" abgestempelt werden.

(Kim Eichhorn/Julia Grillmayr, DER STANDARD-Printausgabe, 5.10.2004)