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Elfriede Jelinek im Juni 2004 in Berlin bei der Entgegennahme des Hörspielpreis der Kriegsblinden für ihren Beitrag 'Jackie'

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Stockholm/Wien – Der diesjährige Literatur-Nobelpreis geht an die österreichische Autorin Elfriede Jelinek (57), gab die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften am Donnerstag, 7.10., 13:00 Uhr, bekannt.

Elfriede Jelinek hat im schwedischen Rundfunk die Entgegennahme des Literatur-Nobelpreises als "überraschende und große Ehre" bezeichnet; sie selbst werde zur Verleihung am 10. Dezember nicht nach Stockholm kommen. "Ich kann mich im Moment Menschen nicht aussetzen", sagte die Autorin und meinte weiter, sie betrachte den Nobelpreis nicht "als Blume im Knopfloch für Österreich". In einem Interview mit der Austria Presse Agentur äußert sie "mehr Verzweiflung als Freude über Nobelpreis" und "böse Ahnungen", dass dieser eine Belastung darstellen werde - in voller Länge hier zu lesen .

Begründung der Akademie

Jelinek werde für "den musikalischen Fluss von Stimmen und Gegenstimmen in Romanen und Dramen, die mit einzigartiger sprachlicher Leidenschaft die Absurdität und zwingende Macht der sozialen Klischees enthüllen", ausgezeichnet, hieß es in der Begründung der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften – zu lesen auf der offiziellen Webseite nobelprize.org. Die Natur ihrer Texte ist oftmals "schwer zu definieren", hieß es ebendort: Sie "bewegen sich zwischen Prosa und Poesie, Gesängen und Hymnen" und enthalten theatralische Szenen und filmische Sequenzen. Das Hauptgewicht ihres Werkes habe sich von der Novelle auf die Dramatik verlagert.

Der Sprecher der SAkademie, der Stockholmer Publizist Per Wästberg, hat die Vergabe des Preises als "wunderbar" eingestuft. Wästberg sagte unmittelbar nach der Bekanntgabe am Donnerstag: "Sie ist eine Autorin, die mit ihrem Zorn und mit Leidenschaft ihre Leser in den Grundfesten erschüttert." Jelinek habe dabei vor allem "die Konsumgesellschaft Österreich kritisiert, die nicht ihre eigene Vergangenheit aufgearbeitet hat". Jelineks Prosa sei ebenso einzigartig wie ihre Dramen. Die Akademie habe bei der Entscheidung nicht darauf gesehen, dass Jelinek eine Frau ist.

Biografie der Ausgezeichneten

Elfriede Jelinek gilt seit vielen Jahren als eine der prominentesten Stimmen der deutschsprachigen Literatur. Ihr Werk umfasst alle literarische Gattungen und wurde bereits mit vielen nationalen und internationalen Preisen ausgezeichnet. 1998 erhielt sie den renommierten Georg Büchner-Preis, im vergangenen März den Lessing-Preis. Der Nobelpreis ist nun die Krönung eines viel beachteten und auch viel gelesenen Werks.

Ihr Bestseller "Lust" (1989), die Uraufführungen ihrer Porno-Satire "Raststätte oder Sie machen's alle" durch Claus Peymann (1994) und von "Ein Sportstück" durch Einar Schleef (1998) sowie zuletzt die Verfilmung ihres 1983 erschienenen Romans "Die Klavierspielerin" durch Michael Haneke fanden weit über die Grenzen des Literatur- und Theaterbetriebs Beachtung.

Elfriede Jelinek wurde am 20. Oktober 1946 in Mürzzuschlag in der Steiermark geboren. Ihre "ungemein leistungsbezogene" Mutter habe sie zum Wunderkind "dressieren" wollen, erklärte Jelinek einmal. Nach der Matura, die sie an einer Klosterschule ablegte, studierte sie am Wiener Konservatorium Klavier und Komposition, belegte daneben aber auch Sprachen, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte. Noch als Studentin veröffentlichte sie 1967 ihren ersten Gedichtband "Lisas Schatten".

Sowohl ihr Romandebüt "wir sind Lockvögel, baby" (1970) als auch die Romane "Die Ausgesperrten" (1980) und "Die Klavierspielerin" (1983) begeisterten die Kritiker, stießen jedoch in gleichem Maße auf heftigen Widerstand. In ihrer literarischen Arbeit übt Jelinek immer wieder scharfe Kritik an der Männer- und Klassengesellschaft und setzt sich kritisch mit den Themen Sexualität, Gewalt und Macht auseinander. Aufsehen, Neugier und Widerspruch erregte besonders der Roman "Lust" (1989). Als ihr "opus magnum" bezeichnet sie selbst "Die Kinder der Toten" (1995). Im Jahr 2000 erschien "Gier", ein vieldeutiger Kriminalroman aus der österreichischen Provinz.

"Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte oder Stützen der Gesellschaft" war 1979 das erste Theaterstück Elfriede Jelineks. Es folgten "Clara S." (1982), "Burgtheater" (1985), "Krankheit oder Moderne Frauen" (1987) und "Wolken. Heim" (1988), eine Montage aus Texten von Hölderlin, Kleist, Fichte, Hegel, Heidegger und Auszügen aus Briefen der RAF-Häftlinge. Um Fremdenfeindlichkeit, Heimat und Intoleranz gegenüber anderen ging es auch in ihrem szenischen Essay "Totenauberg" (1992), der ebenso wie "Raststätte oder Sie machen's alle" (1994), "Stecken, Stab und Stangl" (1996) und "Ein Sportstück" (1998) am Burgtheater uraufgeführt wurde. Ihre Robert-Walser-Hommage "er nicht als er" wurde 1998 bei den Salzburger Festspielen zu einem Erfolg bei Kritik und Publikum. Der Haider-Monolog "Ein Lebewohl" kam im Jahr 2000 am BE heraus. 2003 brachten am Akademietheater Nicolas Stemann "Das Werk", am Burgtheater Christoph Schlingensief "Bambiland" zur Uraufführung.

Erste österreichische Preisträgerin

Jelinek ist die erste österreichische Nobelpreisträgerin im Bereich Literatur. Mit dem gebürtigen Alt-Österreicher Elias Canetti wurde im Jahr 1981 ein Autor ausgezeichnet, dessen literarische Heimat Wien war. In der mehr als 100-jährigen Geschichte des Literatur-Nobelpreises ist sie bisher die zehnte Frau, die diese Auszeichnung zuerkannt bekommen hat; davor waren dies Selma Lagerlöf (1909), Grazia Deledda (1926), Sigrid Undset (1928), Pearl S. Buck (1938), Gabriela Mistral (1945), Nelly Sachs (1966), Nadine Gordimer (1991), Toni Morrison (1993) und Wislawa Szymborska (1996) gewesen. (APA/red)